Dammbruch bei den Grünen betr.: "Abschied vom grünen Pazifismus",taz vom 19.8.92, "Grüne Außenpolitik aus dem Bauch",taz vom 20.8.92, "Bitte nicht schon wieder ein Glaubenskrieg bei den Grünen!" (Interview mit Joschka Fischer),taz vom 21..

betr.: „Abschied vom grünen Pazifismus“, taz vom 19.8.92, „Grüne Außenpolitik aus dem Bauch“, taz vom 20.8.92, „Bitte nicht schon wieder ein Glaubenskrieg bei den Grünen!“ (Interview mit Joschka Fischer), taz vom 21.8.92

[...] Bitter klingt es, Militärintervention ausgerechnet mit Faschismusvorwurf an die Belgrader Adresse zu begründen. Das klingt aus deutscher Richtung doppelt schrill: Einmal, da faschistische Greuel das Land im letzten Kriege verwüstet und die panische Überrüstung von heute mitverursacht hat. Zweitens, da in unverantwortlicher Weise verharmlost wird, was Faschismus von deutschem Boden ausgehend angerichtet hat. [...]

„Der gute Mensch verhindert Katastrophen, der große wendet sie zu seinem Vorteil“, soll Richelieu gesagt haben. Gerade Claudia Roth sollte als EG-Parlamentarierin das Interessenkonglomerat in und um Ex-Jugoslawien kennen und mit Vorsicht genießen. Massive EG-Interessen mischen sich mit denen der um Machterwerb- oder -erhalt kämpfenden Eliten. Auf der Strecke bleibt die machtlose Bevölkerung, heute die KroatInnen und BosnierInnen, morgen dann die aus Serbien, die die 70 Prozent danebengegangenen Laserbomben der „Schnellen Präzisionsschläge“ aufs Haupt kriegen. Sicher, es gibt unmenschliche Behandlung, Folter, Mord in Lagern, aber nicht nur in Serbien. Wollen Roth/Lippelt zu deren Befreiung dafür in Golfkriegslogik die Bevölkerung morden, um die Machthaber zu treffen? Dies kann nicht der Weg sein. [...] Wolfgang Kühr, Sprecher des Projektbereichs Radikalökologie der Ökologischen Linken, Essen

[...] Die Frage weltpolizeilicher Aufgaben der UNO und der eventuellen Beteiligung deutscher Soldaten daran muß ebenso wie die Frage ziviler Konfliktlösungsstrategien sehr ernsthaft und mit kühlem Kopfe behandelt werden, damit nicht voreilig wieder „Pflugscharen zu Schwertern“ geschmiedet werden (Ullmann). Auch im Interesse unserer Republik täten die immer zu spät kommenden Grünen gut daran, diese Diskussion mit denjenigen Persönlichkeiten zu führen, die schon vor Jahren versucht haben, Fragen in eine Partei zu tragen, die offensichtlich noch nicht dazu bereit war, statt ehrfurchtsvoll zu denjenigen aufzublicken, die nach langem Abblocken Hals über Kopf den „Heiligen Krieg“ ausrufen.

Vielleicht hätten wir dann eine Chance, daß Politik ihrer Aufgabe der Daseinsvorsorge wieder etwas gerecht wird und sich nicht immer nur im kurzfristigen Reagieren auf aktuelle Ereignisse erschöpft. Georg Kubitz, Lienen

[...] Unsere Rolle als Grüne ist weder die einer Regierung, die sich den Kopf über einen Militäreinsatz zu zerbrechen hat, noch bilden wir ein eigenes Profil heraus, in dem wir SPD-Vorschläge nachbeten. Vielmehr müssen wir uns schon der Aufgabe stellen, Neues und Zukunftsweisendes einzubringen; so schwer und langwierig und unbefriedigend das in der akuten Notsituation und angesichts der Verbrechen in Bosnien-Herzegowina auch ist. [...] Arnd Grewer,Die Grünen — Ökofonds NRW, Düsseldorf

betr.: „Ein nüchterner Pazifismus ist immer noch angesagt“ von Frieder O. Wolf, taz vom 22.8.92

[...] In Frieders Nachdenken fehlt mir, wer denn Träger eines jetzt diskutablen Pazifismus sein oder werden könnte. Ich habe auf der Suche nach Subjekten des Friedens Schwierigkeiten mit meinen erworbenen Annahmen: Wir haben zugeschaut, wie die Entfaltung eines despotischen Sozialismus Aufstand, Friedensgruppen und Autonomie verhinderte. Daß die Staatengemeinschaft marschierte, in Ungarn, CSSR und so weiter, ist staatennormal, hat mit Ost-West wenig zu tun und wurde im Westen nur für den moralischen Aufbau des eigenen Gesichts verwendet. Das war auch nötig. Zwischen den Mauern in Berlin und China schien sich nichts zu bewegen. Wir aber profitierten in unseren Bewegungen davon, daß sich die BRD als „Frontstaat“ allen voran vorteilhaft vom roten Bruder abzuheben versuchte. Damit ist jetzt endgültig Schluß. Vom Irreführen der Medien im Golfkrieg über die Bildung einer Immobilien- und Müllmafia bis zum gewerkschaftlichen Verrat an Arbeitsbedingungen und vor allem angesichts von Flüchtlingen in der ganzen Welt und sterbenden Kindern, zeigt der freie Markt, was er immer schon gerne wollte: Chaos für die Völker, Ordnung für den Profit und seine natürliche und rechtlich gesicherte Überlegenheit.

Die uns bekannte Gegengeschichte weist Betroffene und ihre Unterstützer aus allen Sozialgestalten der Gesellschaft als Subjekte der Subversion nach. Ihre Nüchternheit ist identisch mit ihrem Willen zum Frieden und zur Gerechtigkeit aus ihrer Betroffenheit. Der Staat muß seine Nüchternheit, militärisch für Frieden zu sorgen, aus seinen rechtlichen Rechtfertigungen gewinnen, die er sich selbst schafft. Dagegen gewinnt die Friedensbewegung sie aus den Schreien Betroffener. [...]

Wollen wir die Friedensbewegung im ehemaligen Jugoslawien unterstützen, müssen wir dafür offen sein, von ihnen zu lernen, was wir 40 Jahre versäumt haben, daß wir uns einen auf dem Boden des Imperialismus entstandenen Pazifismus vorstellen, der glaubt weiter zu sein. Mit den FriedenskämpferInnen dort aber haben wir einen mühsamen Weg vor uns. Hermann Bergengruen,

Hannover

Frieder O. Wolf vielen Dank für den „nüchternen“ Einwurf aus Sicht eines Pazifisten. Im Kontext der in der Bundesrepublik geführten innenpolitischen Debatte um Arbeitsbeschaffung für die weitgehend arbeitslos gewordene Bundeswehr sind Roths und Lippelts öffentliche Gedankenspiele total schädlich. Den Bismarck-Nachfolgern in Bonn, die diese Debatte entfacht haben, geht es doch um viel mehr als nur Jugoslawien. Jugoslawien und die blauäugig geführte Blauhelmdiskussion dienen nur als Vorwände für viel weitergehende Pläne der deutschen Großmachtstrategen. [...] Johannes Brandstäter, Fellbach

betr.: Leserbriefe, taz vom 28.8.92

[...] Die Diskussion um Konfliktvermeidungsstrategien wird spätestens dann makaber, wenn der „Konflikt“ real existiert, also hier sozusagen der verbotene Fall eintritt. Ich denke, das wichtigste ist, den lebensbedrohten Menschen in den belagerten Städten zu helfen, und zwar sofort. Die Lieferung von Lebensmitteln kann dabei nur ein Anfang sein, denn die Menschen sterben weiter. [...] Der ganze Krieg findet nach serbischen Regeln statt, auch die „humanitäre“ Hilfe für die Eingeschlossenen kann ihr Ziel nur erreichen, wenn die Herren Belagerer so großzügig sind, den Flugzeugen nicht die Landebahn zu zerschießen.

Wenn monatelange Verhandlungen lediglich viel Blabla zum Ergebnis haben, weil die Serben Vereinbarungen nur treffen, wenn es ihnen nützt, und sie diese Position zudem ungestraft einnehmen können, dann müssen sie zur Kooperation gezwungen werden! Mit einer grundsatz-pazifistischen Haltung hilft man nicht, den Krieg zu beenden, sondern bestätigt den serbischen Chauvinismus; abgesehen von der Hilfe für Rechtsnationale jedes beliebigen europäischen Staates; abgesehen von der Beispielwirkung auf die jüngst wiedererstandenen individuellen Nationalismen der Nachfolgestaaten der Ex-SU; abgesehen von der Förderung der islamischen Fundamentalisten; abgesehen vom Schaden für die „Vereinten Nationen“, die in schlechter Völkerbundtradition zulassen, daß Mitgliedsstaaten durch faschistische Nachbarländer verwüstet und annektiert werden. Und die Menschen in Bosnien sterben weiter... Michael Gorny, Köln