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„Unregelmäßigkeiten“ haben System

Bei den libanesischen Parlamentswahlen besteht erneut Verdacht auf Wahlbetrug/ Ministerpräsident Al-Solh hatte haushoch verloren, doch dann wurden plötzlich nichtausgezählte Urnen entdeckt  ■ Aus Beirut Khalil Abied

Unmittelbar nach der zweiten Runde der libanesischen Parlamentswahlen, die am Wochenende in Beirut und den Schuf-Bergen abgehalten wurde, gibt es erneut Anzeichen für Wahlbetrug. Nach den offiziellen Ergebnissen von Montag früh hatte die Liste des amtierenden Premierministers Raschid Al-Solh nicht nur haushoch verloren, sondern er selbst hatte sein Mandat als Parlamentarier eingebüßt. Wenige Stunden später folgten plötzlich „zweite Ergebnisse“. Danach hat Al-Solh doch nicht verloren. So etwas kann natürlich vorkommen, auch wenn alles mit rechten Dingen zugeht. Doch dagegen spricht in diesem Falle viel.

Aus gut informierten Kreisen der libanesischen Hauptstadt hieß es, daß Zweifel an der Korrektheit dieser „zweiten Ergebnisse“ angebracht sind. „Die Widerrufung der ersten und die Bekanntgabe von ,zweiten Ergebnissen‘ wurde folgendermaßen begründet“, sagte einer der Politiker. „Plötzlich tauchten von irgendwoher noch zwei Wahlurnen auf. Die Auszählung dieser Stimmen sei vergessen worden, und selbstverständlich befanden sich in diesen Kisten genau die Stimmen, die Al-Solh zu seinem Mandat gefehlt haben. Woher diese Urnen kamen, blieb ein Geheimnis.“

Den Parlamentssitz, der Al-Solh nun auf recht undurchsichtige Weise doch zufallen soll, muß der siegreiche Gegenkandidat des Ministerpräsidenten in diesem Wahlkreis natürlich wieder aufgeben. Als Gewinner gegen Al-Solh war am Tag nach den Wahlen der Ingenieur Saad Ad-Din Khaled gefeiert worden, der Sohn des vor zwei Jahren durch ein Bombenattentat ermordeten sunnitischen Muftis Hassan Khaled. Er teilte auf einer Pressekonferenz mit, daß ihm die offiziellen Ergebnisse der Wahl am Montag morgen um zehn Uhr mitgeteilt worden seien. Danach habe er 11.893 Stimmen erhalten. Nach den „zweiten“ Ergebnissen soll er nur 10.859 Stimmen erhalten haben, Al-Solh hingegen 11.438.

Khaled sagte auf seiner Pressekonferenz, ein „hoher Politiker“ habe dem Chef des Wahlausschusses befohlen, die Veröffentlichung der Wahlergebnisse zu verschieben. Jeder weiß, wer dieser „hohe Politiker“ ist. In der libanesischen Zeitung An-Nahar war bereits am Mittwoch morgen eine Karikatur abgedruckt: Ministerpräsident Al-Solh im Gespräch mit Innenminister Sami Al- Khatib. Sprechblase: „Ich danke Ihnen. Sie haben mich gerettet.“ Al- Khaled, in den sechziger Jahren Chef des Geheimdienstes, ist Syriens „starker Mann“ im Libanon. Er ist es, der nach Meinung vieler Libanesen die Wahlen im Auftrag von Damaskus „dirigiert“. Politische Beobachter in Beirut vermuten, daß die Niederlage Al-Solhs die gegenwärtige prosyrische Regierung zum Rücktritt gezwungen hätte.

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