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„Politisch motivierte, unverantwortliche Panikmache“

■ Eine Delegation der hessischen Grünen besuchte das Erstaufnahmelager Gelnhausen — und entlarvte Landrat und Bürgermeister als Hetzer

„Wir stehen hier an der Frontlinie.“ Klaus Vogel, Chef der Firmengruppe Vogel und Leiter der Erstaufnahmestelle für AsylbewerberInnen im osthessischen Gelnhausen, schüttete gestern vor einer Delegation der Grünen aus dem Landtag sein Unternehmerherz aus: Für zunächst 500 Flüchtlinge habe seine Firmengruppe im Mai die Räumlichkeiten in drei Gebäudekomplexen der ehemaligen US-Coleman-Kaserne in wenigen Stunden so hergerichtet, daß die AsylbewerberInnen menschenwürdig hätten untergebracht werden können. Heute habe man schon knapp 1.000 Flüchtlinge zu betreuen — und dennoch komme gerade von den Kommunalpolitikern „Sperrfeuer“. Einer der von Vogel für die Flüchtlingsbetreuung eingestellten Sozialarbeiter wird im Gespräch deutlicher: „Was der Landrat des Main-Kinzig-Kreises, Karl Eyerkaufer von der SPD, und der Bürgermeister von Gelnhausen, Jürgen Michaelis von der CDU, in den vergangenen Tagen hier öffentlich erklärt haben, ist nichts anderes als politisch motivierte, unverantwortliche Panikmache.“ Tatsächlich hatte der Landrat vor der Ausbreitung von Seuchen wie „Cholera oder Typhus“ gewarnt und angekündigt, in Gelnhausen keine weiteren Flüchtlinge mehr aufnehmen zu wollen. Und der christdemokratische Bürgermeister schickte gar einen schriftlichen „Hilferuf“ an seinen Kanzler: „Unsere Kleinstadt wird mit Asylbewerbern überschwemmt.“ In sieben Monaten sind in Hessen Kommunalwahlen.

„Alles Unsinn“, sagen die Flüchtlingsbetreuer in der Coleman-Kaserne. Fälle von ansteckenden Krankheiten habe es in der Unterkunft bislang noch nicht gegeben — „dafür aber den Widerstand der Kreisverwaltung gegen die Absicht junger Assistenzärzte des Kreiskrankenhauses, die Flüchtlinge medizinisch betreuen zu wollen“. Und auch bei der noblen Ärzteschaft der Barbarossastadt sei es schwer, einen Termin für einen erkrankten Asylbewerber zu bekommen: „Die haben wohl Angst, daß sie dann ihrem Geld hinterherlaufen müßten.“ Von einer Belästigung der deutschen Wohnbevölkerung könne gleichfalls nicht die Rede sein, sagen die Sozialarbeiter. Schließlich liege der Coleman-Komplex am Rande der Stadt. Und selbst nach einer Besichtigung des Erstaufnahmelagers habe Eyerkaufer wissentlich unwahre Angaben gemacht. Vogel: „Die Behauptung, daß für die 1.000 AsylbewerberInnen nur ein Koch zur Verfügung stehe, ist schlicht falsch. Das Küchenpersonal besteht aus einem Küchenleiter, drei Köchen und sieben Küchenhilfen.“ Täglich werde der Speiseplan neu erstellt und auf die Flüchtlinge zugeschnitten. Vogel: „Kein Moslem wird hier gezwungen, Schweinefleisch zu essen.“

„Hier haben 40 Jahre Ausländer gelebt“

Auch die von Lokalpolitikern öffentlich gemachte und von Presseorganen danach „aufgebauschte“ angebliche Massenschlägerei habe so nicht stattgefunden. Ein paar alkoholisierte Männer hätten sich geprügelt. Und solche Reibereien, so Vogel, ließen sich bei knapp 1.000 Menschen unterschiedlichster Herkunft und Religion kaum vermeiden. Von den von der Lokalpresse vermeldeten Verwüstungen in der Unterkunft nach der „Massenschlägerei“ war tatsächlich nichts zu sehen.

Das Fazit aus den Gesprächen mit den Verantwortlichen der Unterbringungsfirma zogen die Besucher: Für die Grünen steht fest, daß die asylbewerberfeindliche Stimmung in der Kommune von den Lokalpolitikern erst herbeigeredet wurde. „Unverantwortlich“ nannte das Fraktionschef Rupert von Plottnitz, der Eyerkaufer und Michaelis schon in der vergangenen Woche vorgeworfen hatte, den Eindruck erweckt zu haben, daß die Not in Gelnhausen größer sei als die in Sarajevo (taz vom 27.August).

Die Grünen konnten sich auf einem anschließenden Rundgang davon überzeugen, daß die Grundversorgung der AsylbewerberInnen und ihre sozialarbeiterische Betreuung „den Umständen entsprechend“ (von Plottnitz) gewährleistet ist. Vogel beschäftigt vier anerkannte Asylbewerber aus vier verschiedenen Herkunftsländern — „damit hier Kommunikation überhaupt stattfinden kann“ (Vogel). In den Gemeinschaftsräumen und im Männertrakt gebe es in der Tat Probleme mit der Sauberkeit, weiß der Sozialbeauftragte der Firma Vogel zu berichten. Viele der Flüchtlinge kämen halt aus Ländern, in denen es unter der Würde von Männern sei, den Putzlappen zu schwingen. In dem Gebäude, in dem die Familien untergebracht sind, würden dagegen die Frauen und Mädchen dafür sorgen, daß „ordentlich geputzt“ werde.

Viele Flüchtlinge grüßten die Mitglieder der ersten offiziellen Politikerdelegation, die dem Lager einen Besuch abstattete, mit einem Lächeln. Bürgermeister Michaelis, so sagt ein Sozialarbeiter, habe sich dagegen in der Unterkunft noch nicht blicken lassen: „Der fragt lieber die Putzfrauen aus.“ Etwa ein Drittel der Flüchtlinge in Gelnhausen kommen aus den Kampfgebieten in Ex-Jugoslawien. Klaus Vogel kann die „ganze Aufregung im Ort“ um die neuen Bewohner der Coleman-Kaserne ohnehin nicht nachvollziehen: „Ich weiß nicht, was die Leute wollen. Schließlich haben hier 40 Jahre lang Ausländer gelebt — und jetzt leben hier halt wieder Ausländer.“ Klaus-Peter Klingelschmitt, Gelnhausen

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