Vinyl hat keine Seele!

1åWenn ein neues, besseres Produkt auf den Markt kommt, verschwindet das alte, schlechtere. Diese Selbstverständlichkeit, die früher, als man noch nach vorne schaute (etwa zu der Zeit, als sich Carl Barks die Figur des stets an Lebensqualitätsverbessernden Erfindungen arbeitenden Ingenieurs Daniel Düsentrieb ausdachte) als angenehm empfunden wurde, dient heute unterbeschäftigten Feuilletonisten als Anlaß für romantisch-nostalgische Jammerartikel.

Wenn man sich ansieht, was die Verdrängung der Vinylplatte durch die CD an wohlformuliertem Wehklagen hervorruft, kann man sich in etwa vorstellen, daß der Tod der Fünf-Zoll-Diskette, des Autos ohne Kat, des mit Chlor gebleichten Klopapiers mit Blütenduft Scharen künftiger Kulturkritiker zu Trauergesängen über das Ende einer Ära (falsch) oder ihrer Jugend (richtig) inspirieren werden.

Was ist also nun so schlimm am Tod des Vinyl? Daß auf CDs kein Knacken die Musik anreichert? Also bitte! Dafür verschwindet endlich der Typus des manischen Plattensammlers mit 10000-Marks-Plattenspieler, der jede Neuerwerbung sofort zärtlich in eine mit Polyäthylen gefütterte Innenhülle schiebt (auch wenn er heute äußert, daß Sympathy For The Devil ohne Kratzer keine Seele hat) und einem nie eine seiner Pretiosen leihen wollte, weil der billige Dual, den man hatte, 0,05 Pond zuviel Auflagegewicht hatte. Beim Gebrauchtplattenkauf keine Dialoge mehr wie: „Wie ist sie denn erhalten?“ – „Fast mint.“ – „Laß mal sehen. Oh, da sehe ich aber ein paar kleine Wischer!“ – „Die hört man aber nicht...“ Sicher gibt es einige hübsch designte Cover, aber was ist schon Design? Und vor allem: Was ist los mit euch jungen, heißen Designern von heute, daß ihr aus diesen reizenden, kleinen Booklets, mit denen ich immer am liebsten schmusen möchte, nicht mehr herausholt? Als wenn man die nicht bis zum Abwinken ausdesignen könnte!

Das einzige Argument, das ich gelten lasse, ist das Preisargument. Sollten CDs tatsächlich deutlich teurer werden, gehen Kulturen unter. Derzeit kosten jedoch aktuelle CDs bei Michelle um 27 Mark, im Angebot unter 20 Mark, Second hand (was bei der CD dasselbe wie First hand ist) etwa 15 bis 20 Mark. Als ich noch ein junger Stenz war, kostete die LP 22 Mark, Importe 25 Mark, Doppel-LPs (mit soviel Spielzeit wie heute eine normale CD-Neuveröffentlichung) 29 bis 35 Mark. Und trotzdem wurde ich Musik-verrückt. Auch ich neige dazu, unter Druck im Magen und Verengung im Kehlkopf zu leiden, wenn etwas Schönes zu Ende geht. Aber was ist das Schöne am Vinyl? Doch wohl die Musik. Und die bleibt auf CD genauso schön. Und dafür, daß die herrliche Jugendzeit irgendwann mal zu Ende geht, kann man schlecht die CD verantwortlich machen.

Den Feuilleton-Jammerern würde ich attestieren, daß sie nicht nur die Tonträger mit den Tönen verwechseln, sondern allgemein in industrieller Massenproduktion gefertigte Waren für beseelte Wesen halten. Schluß mit dem Gejammer und zurück an die Arbeit.