Drei Jahre Haft für Russen wegen Spionage

■ Oberst des militärischen Geheimdienstes (GRU) der früheren Sowjetunion leitete ein Agentennetz/ Berufung auf Befehle wertet das Gericht nicht als Rechtfertigungsgrund/ Erstmals GRU-Oberst vor einem deutschen Gericht/ Nach Verwechslung verhaftet

Berlin. Der russische Oberst Viktor Iwanowitsch Scherdew ist gestern vom Kammergericht wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit und Bestechung zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Nach Überzeugung des 1. Strafsenats hatte Scherdew von 1980 bis zu seiner Festnahme 1991 bei einem konspirativen Treff im Harz für den Militärischen Geheimdienst (GRU) der früheren Sowjetunion gegen die Bundesrepublik und ihre Nato-Partner gearbeitet. Zuletzt sei Scherdew Chef des GRU- Stützpunktes in Magdeburg gewesen, von wo aus er sein Agentennetz leitete.

Die Spione sollten laut Urteil »flächendeckend« Militärobjekte, Truppenbewegungen, Raketenstützpunkte ausspähen.

Scherdew war nach den Worten des Vorsitzenden Richters, Frithjof Kubsch, in eine militärische Organisation eingebunden, die die Sicherheit der Bundesrepublik gefährdete. Der Oberst hatte sich auf seine Befehle berufen, was für das Gericht »keinen Rechtfertigungsgrund« darstellte. Wenn Scherdew auch nicht wie andere Spione aus materiellen Gründen gehandelt habe, könne die Bundesrepublik aus Gründen der »Sicherheit und Selbstachtung« Agententätigkeiten fremder Mächte nicht dulden. Nach Worten von Kubsch war Scherdew verantwortlich für 45 Mitarbeiter, die ihm wesentliche Informationen zugeleitet hätten. Das Gericht nannte unter anderem das Angebot eines Agenten aus Münster, eine komplette Dokumentation des Kampfpanzers Leopard zu liefern. Als »militärisch von höchstem Wert« bezeichnete Kubsch auch die geplante Ausspähung des Panzerregiments Braunschweig. Als Bestechung wertete das Gericht Geldzuwendungen im Auftrag Scherdews an einen Polizeioberkommissar aus dem Raum Wernigerode für die Lieferung von Material aus seiner Dienststelle.

Die Staatsanwaltschaft hatte drei Jahre und sechs Monate Haft gefordert und auf die besondere Bedeutung des Strafverfahrens hingewiesen. Der Fall habe gezeigt, daß die GRU auch nach der Wende noch über ein funktionierendes Agentennetz verfüge. Ferner habe sich mit Scherdew erstmals ein GRU-Oberst vor einem deutschen Gericht wegen Spionage verantworten müssen. Kubsch bezeichnete es als »dramatisch« für den Angeklagten, daß er den Fahndern bei einem überwachten Agententreff im Harz durch eine Verwechslung ins Netz ging. Oberst Scherdew selbst hatte im Prozeß geschwiegen, in seinem letzten Wort aber erklärt, daß er die Gesetze der Bundesrepublik achte und dem Land keinen Schaden zugefügt habe. Er erhob schwere Vorwürfe gegen einen Überläufer aus seinem Stützpunkt. Auf Angaben dieses Mannes, des früheren Führungsoffiziers Alexej Tschernych, basiert die Anklage. Auch das Gericht hielt Tschernychs belastende Informationen für »glaubwürdig«. Über Moral sei hier nicht zu entscheiden gewesen, sagte der Vorsitzende Richter Frithjof Kubsch. dpa