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Seemannsgarn, abgewickelt

Allan Sekulas „Fish Story“ auf der 3. Rotterdamer Biennale der Fotografie: Fotos, wie Schiffe, als Container  ■ Von Brigitte Werneburg

Der stürmischen See entkommen und im sicheren Hafen gelandet zu sein, ist eine sprichwörtlich gute Sache. Entsprechend oft ist es eine metaphorische Angelegenheit. Die rauhen Wasser stehen dann für politische Unannehmlichkeiten. Wie die, in die Ronald Reagan Anfang der achtziger Jahre steuerte, als dänische Seeleute davon berichteten, daß die Israelis amerikanische Waffen in den Iran lieferten. Reagan wußte natürlich mit Sicherheit zu sagen, daß dergleichen nicht wahr ist. Trotzdem war es dann die Iran-Contra-Affäre, die ironischerweise im sicheren Hafen begann. Der war für Reagan schon immer eine dubiose Angelegenheit. In den vierziger Jahren, so berichtet er in seinen Memoiren, versuchte die „kommunistisch unterwanderte“ Gewerkschaft der Schauerleute in Los Angeles, die Gewerkschaften in Hollywood zu übernehmen: „... Schleierhaft war mir dabei allerdings, inwieweit Hafenarbeiter Filme machen?“ Dafür ist dem Rest der Welt nach wie vor schleierhaft, inwieweit ehemalige Schauspieler Fracht verladen.

Textauszüge „Where's the Rest of Me? The Ronald Reagan Story“ begleiten Allan Sekulas Fotografien von den Häfen in Gdansk, Rotterdam, Barcelona und San Diego. Biblisch „Brot und Fische“ betitelt sind diese Fotografien, die in der Ausstellung „Real Stories“ dieses Jahr in Odense zu sehen waren, Teil eines größeren Projekts: „Fish Story“. „Fish Stories“ sind das Gegenteil von wahren Geschichten. Es sind Angebergeschichten, wie sie Seeleute eben erzählen, besser erzählten, als es noch die ganz großen Fische gab.

Sekula ist der Autor wichtiger Essays zur Geschichte und Theorie der Fotografie wie „On the Invention of Photographic Meaning“ oder „Dismantling Modernism, Reinventing Documentary“, und er ist Leiter des Fotografieprogramms am California Institute of the Arts in Los Angeles, kurz CalArts, wo auch John Baldessari und William Wegman unterrichtet haben.

Wirklichkeiten sind zu orten

Die Dokumentarfotografie wieder zu erfinden, heißt zu zeigen, daß sie „Fish Story“ wie „Real Story“ ist. Wenn sie behauptet, die Realität einzufangen, den großen, weißen Wal, dann ist das Angeberei; daß aber die Realität ihr immer entschlüpfte, stimmt ebensowenig. Sekulas Arbeiten sind politische Geographie, seine Fotografien zeigen, wie Räume durch politische und finanzielle Machtstrukturen organisiert sind und Natur durch Ökonomie. Das läßt sich fotografieren.

Eine Kiste bricht auf, ihr Inhalt ergießt sich am Pier: So werden Waffen heute nicht gefunden. Die Containerisierung läßt den Los Angeles Hafen von San Pedro wie einen Flughafen aussehen; riesige, freie Flächen, darauf ein Terminal, am Dock Kräne; weitere riesige Flächen mit gestapelten Containern und bereitgestellten Lastwagenhängern.

Das Schiff, konkret wie metaphorisch, immer als autonomer, in sich totaler Raum gesehen, existiert nicht mehr. Schiffe können sich nicht mehr selbst entladen. Sie sind heute Teil neben anderen Teilen eines komplexen Maschinenapparates an Land. Es gibt keine Annäherung mehr an das Schiff als organische Einheit. Die Annäherung muß das Schiff als Baustein eines umfassenden logistischen Problems aufzeigen. Die Montagestruktur der „Fish Story“ entspricht dem. Wie es kein eigenständiges Schiff gibt, gibt es kein eigenständiges Foto. Das Foto ist ein Informationscontainer. Soll der symbolische Tausch Sinn machen, dann erzwingen Informationsdichte und -umschlaggeschwindigkeit geradezu die Serie. Soll er keinen Sinn machen, dann werden Schiffe heute ohne weiteres umbenannt und Informationen damit ins Dunkle verschoben. Der Umbenennung folgt kein Unglück — sie erfolgt auf das Unglück: Die „Exxon Valdez“ ankert nun als „Exxon Mediterranean“ im Hafen von San Pedro.

Auch Fotografien werden beschriftet, damit die fotografische Konstruktion, wie Walter Benjamin sagt, nicht im Ungefähren steckenbleibt. „Traurige Wissenschaft“ hatte 1840 Thomas Carlyle die Politische Ökonomie genannt, unter „Dismal Science“ läuft der Werkausschnitt, den Allan Sekula auf der 3.Rotterdamer Fotografie-Biennale zeigt, die zwischen dem 4.September und 11.Oktober im Studio Waterstad, im Leuvehaven, stattfindet. Die Dia-Projektion zeigt Bilder, die in Newcastle-upon-Tyne und Glasgow am Clyde entstanden, den ehemaligen Standorten der englischen Werftenindustrie. Rosa Luxemburg hatte sie vor hundert Jahren als Beispiele des fortgeschrittenen Kapitalismus zitiert.

Sentimentale Investitionen

Heute wird dieser von Guy Debord als „Gesellschaft des Spektakels“ analysiert, und entsprechend sind die deindustrialisierten Hafengebiete Lieblingsobjekt der Immobilienspekulation. Ein Mittelstand mit Geld möchte wieder am Wasser wohnen, und Städte mit hohen Verlusten an Arbeitsplätzen hoffen auf Touristen. Die anrüchigen und dreckigen Hafengebiete werden saniert und entkriminalisiert; man investiert in Sentimentalität. „Sea World“, das Schauspiel von Riesenaquarien und heiligen Delphinen, ist besonders beliebt. Draußen vor den Häfen gehen die Meere kaputt, während innerhalb der Kaimauern Ökosysteme simuliert werden. Auch wegen verseuchter Meere schließen die Fischhäfen. In Los Angeles wird der Fisch, frisch aus Hawaii, eingeflogen, vom Flughafen zum Fischmarkt am Hafen gefahren.

Der moderne Hafen ist entvölkert, das Gemisch fremder Seeleute und einheimischer Fischer, Industriearbeiter von den Werften und proper-weiß gekleideter Arbeiterinnen aus den Fischfabriken existiert nicht länger. Die Seeleute gehen nicht mehr von Bord, denn die Anlegezeiten sind zu kurz und die Immigrationsbestimmungen zu rigide; die Menschen im Hafen sind selbst containerisiert, im Schiff, in der Kran- Kabine, hinter dem Steuer des Lastwagens.

Allan Sekulas „Fish Story“ verweigert sich einer modernen wie einer postmodernen Fotoästhetik. Wenn die Fotografie der Neuen Sachlichkeit in den zwanziger Jahren in der Anthropomorphisierung technischer Apparaturen wie des Ladekrans schwelgte, Technikformen als konstruktive Naturformen interpretierte und die isolierte Detailsicht auf Schiffschraube, Anker und Poller in die fetischisierten Bildsymbole des Maschinenzeitalters verwandelte, dann geht Sekulas Fotografie auf dokumentarische Distanz.

Gleichzeitig will seine Fotografie-als-Dokument nicht neo-konzeptionelle, selbstreferentielle postmoderne Muster bedienen. Auch die aggressive, ironische Artistik einer konsequent mit sich selbst beschäftigten Kunst ermüdet irgendwann. Allan Sekulas „Fish Story“-Projekt fällt im gegenwärtigen Kunstgeschehen attraktiv auf, weil es sehr intensive Bindungen zur Wirklichkeit, zur Arbeit, zur Geschichte, zur naturalen, sozialen und ökonomischen Realität hat. Der Hafen als Ort des symbolischen und materiellen Tausches war immer der Ort radikaler Phantasien wie phantastischer Radikalität. Die härtesten Arbeitskämpfe Amerikas wurden in den Küstenhäfen ausgefochten.

Der künstlich geschaffene Hafen von Los Angeles entwickelte sich in den Jahren dieser Auseinandersetzungen, von 1910 bis 1930 zu seiner Bedeutung für den pazifischen und transamerikanischen Handel. Der Ruch von Radikalität und Anarcho- Syndikalismus hing ihm bis in die sechziger Jahre an. Warum Ronald Reagan allerdings ausgerechnet auf dem Lake Arrowhead als Demokrat in ein Motorboot stieg, um nach ein paar Runden als Republikaner wieder auszusteigen, bleibt bei aller anekdotischen Geschwätzigkeit eine nicht erzählte Geschichte.

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