Deutsche Reifen brennen in Estland

Polizei ermittelt gegen Berliner Firma/ 500.000 Tonnen sollen jährlich in Tallin verfeuert werden  ■ Aus Berlin Udo Bünnagel

Die geplante Verschiebung riesiger Mengen alter Autoreifen und giftiger Kunststoffe nach Estland beschäftigt die deutschen Polizei. Berliner Beamte ermitteln gegen die Firma Asia Trading GmbH (ATG), auch das Bundeskriminalamt ist eingeschaltet. Die Firma hatte bislang 5.000 Tonnen Reifen, Klärschlamm, Autolacke und Schmierfette als „humanitäre Hilfe“ deklariert und zur Weiterverwertung per Schiff in die estnische Hauptstadt Tallin verfrachtet. Dort sollen die Kunststoffe in einem Heizkraftwerk verfeuert werden. Insgesamt plant die ATG, 500.000 bis 800.000 Tonnen dieses Mülls jährlich nach Estland zu verschieben. Die estnischen Behörden wurden jedoch mißtrauisch und richteten eine Anfrage an das Bonner Umweltministerium. Die Ferndiagnose durch das eingeschaltete Umweltbundesamt (UBA): Das Kraftwerk ist für Verbrennungen solcher Mengen nicht geeignet. Was die Umweltbeamten vor allem aufschreckte, ist das Ausmaß der Lieferungen. UBA- Sprecher Günther Nantke: „Das ist die Menge, die in ganz Deutschland jährlich anfällt.“ Die Behörde mutmaßt, das der Großteil des Mülls auf illegalem Weg „entsorgt“ werden sollte. In dem Kraftwerk in Tallin könnten pro Jahr allenfalls 10.000 Tonnen verbrannt werden.

Darüber, von wo die Firma die Altreifen erhalten hat, herrscht auch beim Bundesverband der deutschen Kautschukindustrie Unklarheit. „Die müssen lange gehortet haben“, so ein Sprecher. In Deutschland würden jährlich 200.000 Tonnen Altreifen in Zementwerken verbrannt, ein Teil rundumerneuert oder zu Granulat verarbeitet. Von rund 150.000 Tonnen sei der Verbleib aber ungeklärt. In Zukunft wird die Entsorgung aber noch schwieriger. Bei Entsorgungsbetrieben erfuhr die taz, daß sich Zementwerke zunehmend weigern, alte Autoreifen zu verbrennen. Die Filter der umgebauten Anlagen würden dadurch in Mitleidenschaft gezogen.

In Tallin sorgte schon die erste Reifenlieferung für großen Ärger. Ein Teil der 5.000 Tonnen ging in der vergangenen Woche im Hafen von Tallin in Flammen auf. Erst nach mehrstündigen Löscharbeiten gelang es der Feuerwehr, die Flammen unter Kontrolle zu bringen.

Der von der ATG in die Wege geleitete Deal war in Estland zuerst auf Wohlwollen gestoßen. Die Talliner glaubten, das Brennstoffproblem für ihr größtes Kraftwerk gelöst zu haben. Brennstoff ist seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion äußerst knapp, da Rußland für seine Öllieferungen jetzt Weltmarktpreise verlangt, die das baltische Land nicht bezahlen kann.

Der Geschäftsführer der ATG, Fritz Hense, bestritt gestern alle Vorwürfe entschieden. Es seien ordnungsgemäße Verhandlungen mit den estnischen Behörden geführt und mit einem Fünfjahresvertrag abgeschlossen worden. Die sieben Kraftwerksblöcke sollten mit einem Aufwand von 10 Millionen Mark stufenweise umgebaut werden, der erste solle Anfang 1993 die Verbrennung von Autoreifen aufnehmen. Umweltminister Klaus Töpfer erklärte gestern, Bund und Länder müßten gemeinsam stärker gegen ungesetzliche Abfallexporte vorgehen.