Erich Honecker bleibt hinter Gittern

Strafkammer lehnte Entlassung des krebskranken Gefangenen Erich Honecker ab/ Anwalt Becker: „Das Gericht will unter politischem Druck einen Prozeß im Wettlauf mit dem Tod aufnehmen“  ■ Aus Berlin CC Malzahn

Der krebskranke Erich Honecker bleibt weiter in Untersuchungshaft. Die 27. Große Strafkammer beim Berliner Landgericht lehnte gestern einen Antrag der Verteidiger auf Haftverschonung ab. Das Gericht begründete seine Entscheidung mit angeblicher Fluchtgefahr. Honecker verfüge noch immer über Verbindungen ins Ausland, die ihm Fluchtmöglichkeiten böten.

Nach dem über drei Stunden langen Termin erklärte Honeckers Anwalt Nicolaus Becker, das Gericht wolle offenbar „unter starkem politischem Druck den Wettlauf mit dem Tod von Erich Honecker aufnehmen“. Er habe keine andere Entscheidung erwartet, aber erhofft. Der medizinische Sachverständige Volkmar Schneider hatte Honecker untersucht und ein Krebsgeschwür an der Leber festgestellt. Der Arzt attestierte dem Gefangenen zwar beschränkte Haft- und Verhandlungsfähigkeit, wies aber darauf hin, daß Honecker einen zweijährigen Prozeß kaum überleben werde. Gegenüber Journalisten erklärten Honeckers Anwälte, ihr Mandant habe die Entscheidung des Gerichts „gefaßt“ aufgenommen. Er sei aber in einer gesundheitlich und psychisch „angespannten Lage“, so Rechtsanwalt Becker.

Im Gegensatz zu Honeckers Anwälten geht das Gericht auch nach dem medizinischen Gutachten davon aus, daß „zur Zeit kein Prozeßhindernis, das zur Einstellung des Verfahrens und zur Aufhebung des Haftbefehls“ zwinge, besteht. Charakter und Wachstumsgeschwindigkeit der Geschwulst, so heißt es in der Begründung des Gerichts, könnten erst durch weitere Untersuchungen, „die zur Zeit noch nicht aussagekräftig waren“, bestimmt werden. Das Verfahren dürfe erst bei „definitivem Vorliegen des Verfahrenshindernisses“ eingestellt werden. Auf deutsch: Der 80jährige hat erst dann eine Chance, auf freien Fuß gesetzt zu werden, wenn er sich vor Schmerzen nicht mehr halten kann. Über die Prozeßeröffnung muß die Kammer unter Richter Hansgeorg Bräutigam noch entscheiden. Im Oktober soll Erich Honecker noch einmal untersucht werden.

Friedrich Wolff, Honeckers zweiter Anwalt, erklärte gestern, die Entscheidung des Gerichts sei „nicht vertretbar“ und „nicht günstig“ für den Rechtsstaat. „Wenn das Staatsoberhaupt eines Staates von einem anderen Staat angeklagt wird, ist das immer ein politischer Prozeß“, sagte er. Justizsprecherin Fölster wies das entschieden zurück. Es werde kein politischer Druck auf das Gericht ausgeübt, die Kammer entscheide unabhängig. Das Hauptargument des Gerichts, Honecker könnte flüchten, versuchte Wolff gegenüber der Presse zu entkräften: Man habe dem Gericht zwei mögliche Wohnorte genannt, Honecker würde im Falle einer Freilassung außerdem unter Polizeischutz stehen. Eine Flucht sei unter solchen Umständen gar nicht möglich. Das Gericht hatte in seiner Begründung darauf verwiesen, daß Honecker sich „unter Mitwirkung ausländischer Mächte über einen langen Zeitraum erfolgreich“ dem Verfahren hatte entziehen können. Als Honecker nach Moskau geflohen war, lag eine Anklageschrift gegen ihn aber noch gar nicht vor. Gegen den ehemaligen SED-Generalsekretär war bis dato nur ermittelt worden.

Honeckers Anwälte wollen nun beraten, ob sie gegen die Entscheidung Beschwerde einlegen wollen. Honecker wird 49facher Totschlag und 25facher versuchter Totschlag zur Last gelegt. Außerdem wird ihm Veruntreuung sozialistischen Eigentums vorgeworfen.

Der Vorsitzende Richter Bräutigam verhalte sich gegenüber Honecker „sehr freundlich“, sagte Anwalt Becker. Bräutigam habe den Gefangenen gefragt, wen er denn als nächsten Besucher haben wolle. Honecker habe die Frage beantwortet, sagte Bräutigam, ohne den Namen zu nennen. „Das ist Honeckers Privatsache.“