Zweistündige Erektion

■ betr.: Leserbrief, FDP, St. Pauli und die Pornosteuer - die Partei, der Stadtteil und die Steuer

Betr.: Leserbrief, FDP, St. Pauli und die Pornosteuer — die Partei, der Stadtteil und die Steuer

Sehr geehrte Damen und Herren, als zwei am Spielbudenplatz, Hamburgs alter und neuer Amüsier- und Unterhaltungsmeile, ansässige und mit dem Stadtteil sehr verbundene Theater, als bewußte St. Paulianer, freuen wir uns immer sehr, wenn Politiker ihr Rathaus verlassen, um sich vor Ort ein Bild von den Stadtteil-Problemen zu machen. Ein hehrer Grundsatz, gerade das erotische Unterhaltungsprogramm in publica zu besichtigen, sogar geschützt und mit Presseschirm — das findet unsere ungeteilte Zustimmung.

Verwundert sind wir sicherlich auch nicht, daß Herr Schneidereit die Gelegenheit und die freiliberalen Bürgerschaftsabgeordneten am Schopfe greift, um ihnen sein Leid mit der Besteuerung der verkauften Lust in seinem illustren Hause zu klagen. Als freisinnige Menschen geht uns diese Steuer selbstverständlich auch nahe, gerade angesichts von Schließungen und Querelen um andere Kiez-Institutionen, und nicht zuletzt, weil wir ähnliche Klagen über Kunst-Schröpfung im Verhältnis zu Kunst-Subventionierung haben.

Sehr erstaunt sind wir aber, wenn die Frage der Besteuerung pornographischer Darstellungen entlang der Schmidt-Programme diskutiert wird. Fraglos sind in den Schmidt-Shows auch mal nackte, halbnackte oder auch nur in fleischfarbene Kostüme verpackte Menschen zu erleben — ähnlich wie auf Kampnagel (siehe Movimientos) und auf anderen Bühnen. Nacktheit kann genauso künstlerisches Stilmittel sein wie Pornographie oder Pantomime. Und: Eine geleistete zweistündige Erektion vor geiferndem Publikum kann auch als künstlerische Leistung bewertet werden.

Wir fragen: Wer entscheidet, was Kunst ist? Ist schon das gesprochene Wort pornographisch oder erst die Präsentation primärer Geschlechtsteile? Gibt es einen Unterschied zwischen Ausdruckstänzerinnen und Stripperinnen, oder warum soll ein Mann auf der Bühne seinen Schwanz nicht zeigen, wenn er es gerne tut? Mit der zusätzlichen Einführung einer Lust-Steuer ist nur einer bigotten Doppelmoral gedient, die wir auch in der Diskussion über die Stellung des Berufsstandes Prostitution wiederfinden. Interessant ist doch immer wieder, welche Gedanken in dem Muff Hamburger Amts- und Parlamentsstuben ausgeheckt werden, noch interessanter ist es, wenn Politiker sich auf das Glatteis wagen, zu sagen, was Kunst ist und was nicht (so Herr Bodeit, verheiratet, zwei Söhne: „Für mich ist auch manches im Theater nicht Kunst“). Schlimm ist es, wenn daraufhin zensiert wird, wie Mapplethorpe- Bilder in den Vereinigten Staaten oder Krista Beinstein in Hamburg. Aber vielleicht ist auch nach der freiliberalen Wanderung in die Niederungen der Unterhaltung mit menschlicher Lust und der interessanten Diskussion um Nacktheit und die Kunst, das Motto des Hosenbandordens angebracht: Schelm ist, wer Arges dabei denkt — bei FDP-Abgeordneten in Sex-Shows, Theatern ohne Kunst und nackten Männern im Schmidt und Tivoli.

Mit lustvollen Grüßen Stefan Celze, Michael Walz