Was alles nicht geschieht

■ betr.: Kampnagel, taz vom 22.8.92

Betr.:Kampnagel, taz 22.08.92

Liebe tazler, wie wäre es einmal mit einem neuen Darstellungstyp: dem „Nicht-Bericht“? Er berichtet, was alles nicht geschieht, nicht gesagt oder gedacht wird — wohlweislich nicht, versteht sich! Der Zweck solchen Unterlassens liegt auf der Hand: Was unterschlagen wird, steht auch nicht zur Disposition. Die einfachste Art, Tatsachen zu schaffen.

Im Falle Kampnagel: Als ginge es darum, wie die Pressesprecherin der Kulturbehörde räsoniert, daß die Angebote diverser Investoren, die das Gelände bebauen möchten, „nicht seriös genug“ seien! Als ginge es für die HWF darum, in die „Offensive“ zu gehen und nach den „Schmerzpunkten der Beteiligten“ zu suchen. Und als ginge es darum, Kampnagel zu erhalten, weil die Kulturfabrik Hamburgs Ruf als Weltstadt in der Ferne leuchten ließe — Scheingefechte! Es geht schlicht darum, Gewerbe anzusiedeln, um eine Lobby zu befriedigen und Steueraufkommen zu erhöhen. Und der größte Fehler aller Freunde Kampnagels ist es, sich auf diese Diskussion einzulassen, weil ihnen offenbar Argumente fehlen, sich ihrer ganz zu erwehren.

Was auch der taz-Bericht nicht deutlich sagt: der Trägerverein selbst betreibt aktiv eine Gewerbeansiedlung, um mit dieser (s.o.) „Offensive“ (N. Aust) weitere Zudringlichkeiten der Baubehörde und Teilen der SPD aus der Welt zu schaffen. Deren „moralische“ Argumentation mit der Wohnungsnot, die einer Bebauung Priorität einräume, hat sich mittlerweile — stillschweigend — auf Gewerbe reduziert. Und die Künstler sagen jawohl.

Denn die nörgelnde Frage, wie lange sich die Stadt angesichts wachsender Kostennöte Kampnagel noch leisten könne, hat man als Damoklesschwert über ihre Köpfe gehängt. Falsche Frage, böses Schwert. Nicht um „können“ geht es hier, sondern wollen: Will Hamburg sich Kampnagel leisten oder nicht? Dann steht es weder zur Disposition noch frei zur Bebauung.

Allerdings setzte diese Entscheidung zweierlei voraus:

— ein ausgeprägtes politisches Bewußtsein von Kultur in Partei, Bürgerschaft, Behörde(n) und Trägerverein

— ein grundsätzlich anderes Verständnis von Wohnungsbau, Lebensform und Stadtgestaltung.

In der bisherigen „Diskussion“ ging es um die Fabrik ausschließlich aus zweckdienlichen Überlegungen heraus (Kostenfaktor, Stadtimage, Rentabilität, kultureller Mehrwert usw.), niemals jedoch aus einer konkreten Vorstellung von der Bedeutung von Kunst und ihrer politischen Implikation heraus. Das meint nicht, daß Kunst und ihre „Debatten“ (künstlerischer und methodischer Art) zugleich „Ort normativer Debatten um die Konfiguration gegenwärtiger Freiheit sind“ (Chr. Menke). Die Frage muß heißen (und wer aus den Parteien stellte sie...?): Was kostet es uns, Kampnagel nicht als einen Ort bestehen zu lassen, der sich heraushebt aus unserer ver-zweckten Lebenswelt? Was kostet es uns politisch, diese Freiräume zuzuschütten?

Auch scheint die Diskussion darüber hinaus zu bestätigen, daß die Entwicklung einer Stadt und Stadtentwicklung trotz STEB zwei Paar Schuhe sind: Entwicklung auch hier wieder als Folge von — durch fortschreitende technische Innovation und ökonomische Rationalisierung geprägten — wirtschaftlichen Veränderungen, denen die Stadtplanung in einer Art permanenter Krise hinterherhinkt (A. Kaczmarczyk). Und auch wieder die deprimierende Tatsache, daß die Planungsziele eher dem Wachstum des Haushaltsetats als der Verbesserung der Lebenssituation dienen: Jedenfalls sage keiner, letzterem Zweck verdanke sich Gewerbeansiedlung auf Kampnagel!

Was ich mit diesen beiden Punkten andeuten wollte, ist allerdings nicht so einfach, daß es medienwirksam kolportiert werden könnte. Wahrscheinlich einer der Gründe für das traurige Niveau der „Diskussion“, die zumal „unbemerkt von der Öffentlichkeit“ (taz) stattfindet. Wünschenswert wäre es, wenn immerhin die Kulturbehörde endlich einmal ein politisches Profil entwickelte, das sich nicht allein über letztendlich ökonomische oder kompensationstheoretische Aspekte definierte.

Wie wäre es mit der mutigen Entscheidung, nichts weiteres auf dem Gelände der Kampnagelfabrik anzusiedeln: weder Wohnungsbau noch Gewerbe, liebe Herren Technokraten?

Wie wäre es mit einer wahrlichen „Offensive“, lieber Trägerverein: der einer radikalen Inanspruchnahme dessen, was besteht — und darüber hinaus der Forderung dessen, was dringend nötig ist: sofortige Investition in die angegriffene Bausubstanz, um den Standort zumindest zu erhalten.

Denn auch hier werden Tatsachen geschaffen, indem man nichts tut (s.o.): Kampnagel fällt in sich zusammen und ist eines Tages weg... Stefan Rosinski