Spannendes Crossover

■ Der Gefesselte von Peter Brötzmann und Mike Pearson im Westwerk

von Peter Brötzmann und Mike Pearson im Westwerk

Ein Mann wacht auf und ist gefesselt. Dem Staunen folgen die Unruhe und der Kampf der Befreiung. So beginnt Ilse Aichingers Erzählung Der Gefesselte, und diese Szene haben zwei Künstler, die unterschiedliche Ausdrucksformen benutzen, zum Anlaß genommen, um ein gemeinsames Projekt zu realisieren. Der „Vater des deutschen Free Jazz“, wie einst Irene Schweizer den Saxophonisten Peter Brötzmann genannt hat, und der walisische Performer Mike Pearson erarbeiteten - via Fax - ein gemeinsames Konzept und trafen sich dann vor zwei Wochen im Westwerk, um ihre Gedanken in die Praxis umzusetzen.

Die Performance Der Gefesselte stellt sich als spannende und experimentelle cross-over-Vorstellung dar. Wenn die Zuschauer ihre Stehplätze um den in der Mitte freigelassenen Bühnenraum eingenommen haben, eröffnet sich der Blick auf einen schlafenden Mann, der in Fesseln auf einer überdimensionalen rostigen Sardinendose liegt. Die ersten Klänge von Brötzmanns Klarinette lassen einen Alptraum erahnen. Mit dem Erwachen des Mannes beginnt auch der Alptraum, Konturen der Wirklichkeit anzunehmen.

Der Gefesselte versucht sich zu bewegen, kriecht von seinem „Bett“, wälzt sich auf dem Boden und wirft sich gegen die Wand. Sein anfängliches Staunen wird zum Todeskampf, führt über Ohnmacht, Wut und Resignation. Während des ständigen Wechselbades aus Kraftanstrengung und Erschöpfung improvisiert Peter Brötzmann auf der Klarinette und dem Tenorsaxophon, verfolgt musikalisch das wirre Spiel der Gefühle. Brötzmann überbläst, er treibt das Durcheinander auf die Spitze oder untermalt Momente der „Erholung“ mit weichen und süßen Tönen auf den unteren Oktaven der Baßklarinette.

Plötzlich stürmen drei Männer auf die Bühne, ziehen den Gefesselten durch den Raum und hängen ihn mit dem Kopf nach unten auf. Nach der Befriedigung ihrer Gelüste befreien sie ihn. Regelrecht „gefesselt“ bleiben nur die Zuschauer zurück. Nikos Theodorakopulos