Der Teufel in der Kirche

■ In New York werden Gotteshäuser als Discotheken genutzt/ Berlin ist noch lange nicht so weit

Die frohe Botschaft dröhnt aus massiven Boxen. Hart und monoton hämmert der Rhythmus. Wo einst der Altar stand, tanzen die Massen. Moderne Gläubige, Gläubige des Tekkno-Sounds. Von der Decke baumelt ein Käfig, darin verrenkt sich ein Wesen mit Strapsen und künstlicher Perücke. Eine Anti- Maria des 20. Jahrhunderts, ein Sex- Symbol, androgyn und kühl. In den Gängen riecht es nach Shit, wandern die Aufputsch-Pillen von Hand zu Hand, Opium fürs moderne Volk. Und Jesus blickt gütig vom Kirchenfenster hinab, Abend für Abend, halb verdeckt durch eine schwarze Wand, ein stummer und abgedrängter Gast im Endzeitalter. Der Ort: eine ehemalige Kirche in New York, Sechste Avenue Ecke Zwanzigste Straße. Besser bekannt unter dem Namen »Limelight«, heute Discothek und Mekka der Tekkno-Fans aus aller Welt. Zugleich die Horrorvision jedes Gläubigen und frommen Kirchenmannes, ein entweihter Ort.

Was in Amerikas Weltmetropole schon lange möglich ist — in der Provinz Berlin ist es undenkbar. Bisher jedenfalls. Zwar wächst die Zahl der Kirchenaustritte von Jahr zu Jahr, verlieren sich die Worte von Pfarrern in leeren Hallen, doch Berlin hält stand, ein Fels in der Brandung. Für Reinhard Stawinski ist der Verkauf einer Kirche an »kommerzielle Bewerber« schlicht »nicht vorstellbar«. Das sei, sagt der Sprecher der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, »eine Einstellungsfrage«.

Doch an der Tatsache, daß in manchen Stadtteilen die Gotteshäuser nur noch Dekoration sind, kommt auch die Kirche schon lange nicht mehr vorbei. So ist man vor Jahren neue Wege gegangen. Sie führten zwar nicht zum Herren, aber doch zu den Massen. Etwa in der Passionskirche am Marheinekeplatz in Kreuzberg. Unter ihrem Pfarrer Christian Haebringer hat sich die Kirche für kulturelle und politische Veranstaltungen geöffnet. Klassik- und Jazz-Konzerte sind seit nunmehr zehn Jahren fester Bestandteil.

Die 1908 fertiggestellte Passionskirche ist wie manche der rund 250 evangelischen Sakralbauten in Berlin ein Produkt aus jenen Tagen, in denen die Kirchengemeinden zwischen 60.000 bis 100.000 Mitglieder zählten. Auch wenn von den Mitgliedern schon damals nur drei Prozent den sonntäglichen Gang zur Kirche zurücklegten, so reichte diese Zahl aus, um die wilhelminischen Klinkerbauten mit bis zu 1.500 Sitzplätzen restlos zu belegen.

Goldene Zeiten, von denen der 48jährige Pfarrer Haebringer nur träumen kann. Rund 5.200 eingetragene Mitglieder verzeichnet seine Gemeinde — mit sinkender Tendenz. Zwischen 30 und 50 Menschen besuchen an den Sonntagen seinen Gottesdienst. Zu wenig, »um damit eine Kirche zu halten«, wie er zugibt.

Sie haben es wahrlich nicht leicht, die Kirchen dieser Stadt. In der Heilig-Kreuzkirche, ebenfalls in Kreuzberg, hat seit 1987 kein Gottesdienst mehr stattgefunden — außer an Feiertagen. Das soll nun wieder anders werden. Bis Ende 1994 wird der um die Jahrhundertwende errichtete Bau komplett umgestaltet. Zudem sollen kirchliche Büroräume unterhalb der Kuppel, die früher vom Volksmund als »Pickelhaube« bezeichnet wurde, untergebracht werden.

Noch weiter will die Luthergemeinde in Spandau gehen. Ihre Kirche, ein denkmalgeschützter Bau von 1896, ist für Sozialwohnungen vorgesehen. Zwei Jahre wurde mit dem Landeskonservator, Berlins oberstem Denkmalpfleger, gerungen — nun kann mit dem Umbau begonnen werden. Allerdings wurde zur Bedingung gemacht, daß die Einbauten auch problemlos wieder herausgenommen werden können, wie Pfarrer Christian Maechler erzählt. Nur ein Drittel der Kirche wird anschließend noch für Gottesdienste zur Verfügung stehen.

Auch wenn das Weltliche notgedrungen immer stärker in die Gotteshäuser eindringt — eins fürchtet die evangelische Kirche wie der Teufel das Weihwasser: Daß nämlich ihre Bauten an Moslems verkauft werden könnten. Mehrmals wurde darüber in den letzten Jahren schon intern diskutiert. Zu solch einem Offenbarungseid, der nach außen hin den territorialen Verlust symbolisieren würde, ist es bisher noch nicht gekommen. Stawinski glaubt, daß dem »sicherlich verständlichen Anliegen der Moslems damit nicht gedient wird, denn es könnte in der Öffentlichkeit mißverstanden werden«. Auch Haebringer nennt die Vorstellung »obzön«, sollten Moslems christliche Kirchen »für ihre Zwecke umfrisieren«. Die finanziellen Sorgen der Kirche sind für ihn kein Grund, Kirchen zu verkaufen oder gar abzureißen: »Bevor das getan wird, sollten wir alle Möglichkeiten ausschöpfen, nach andere Verwertungsmöglichkeiten des Kirchenbesitzes auszuloten«.

Bei allen Experimenten: Auch Pfarrer Haebringer von der Passionskirche in Kreuzberg hat seine Prinzipien. Vieles mache er mit, etwa daß Bands oder politische Organisationen ihre Embleme aufhängen. Aber den Altar, den lasse er bei Konzerten nicht durch eine »Schamwand« verstecken. Atheistischen Konzertbesuchern gibt er schon vorsorglich einen Ratschlag mit auf den Weg: »Wer diesen Anblick nicht aushalten kann, der sollte uns gar nicht erst besuchen«. Severin Weiland