Inseln der Realität

■ Die Revolution ist vorbei: »Studio Ypsilon«, »Schauspielklub«, »Theater am Geländer« und »Theater des Jara Cimram« spielen auf den Festwochen

Auch in Prag bleiben heute die Theater leer, die samtene Revolution des November 1989 hat sie in eine Krise gestürzt. Vier Bühnen stellen sich nun auf den Berliner Festwochen vor, sie waren Inseln der Realität gewesen. Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 war die Zensur zwar allgegenwärtig, aber keineswegs so einfallsreich wie die Theatermacher und hatte auch kein so feines Gespür wie das Publikum. So wirkten das »Studio Ypsilon«, der »Schauspielklub«, das »Theater am Geländer« und das »Theater des Jara Cimrman« nicht nur als künstlerische, sondern auch als ökologisch-hygienische Institution. Sogar die Revolution selbst fand im Saale statt. Hier wurden realdramatische Ereignisse des Tages rekapituliert, die Bühnenhandlung trug mitunter unmittelbar zur Entstehung der neuen Wirklichkeit bei.

Alle vier waren in den Jahren 1958 bis 1967 gegründet worden, in einer Zeit, in der überall neue Freiräume entstanden. Die Initative kam von unten: Es war zwar möglich in dieser Zeit, ein nonkonformistisches Theater durchzusetzen, jedoch nicht selbstverständlich. Die ersten Jahre des »Theaters am Geländer« waren bestimmt von »Text-Appeal«, Pantomime und Liedermachern, viele Stücke hätten auch einem Kabarett alle Ehre gemacht. Bis zum Eingriff der »Normalisatoren« arbeitete hier der Regisseur Jan Grossman, und manche von Vaclav Havels Stücken hatten hier Premiere. Mit einiger Verspätung wurde das klassische absurde Theater Europas nachgespielt, in den Siebzigern und Achtzigern reizten vor allem die Inzenierungen von Evald Schorm, dessen provozierende Interpretationen von Shakespeare und Dostojewski sich Jahre auf dem Spielplan hielten.

Der »Schauspielclub« hatte sich vor allem durch die Qualität seines Ensembles ausgezeichnet. Aber hier wurde auch das »Bürgerforum« gegründet. Heute ist es in drei Parteien gespalten, und es hat keinen keinen Sinn, über den Verlust der politischen Funktion des Schauspiels zu weinen. Nach der Wende kehrte es zu seiner ursprünglichen Funktion zurück, erweiterte das Repertoire um bisher verbotene Stücke tschechischer, slowakischer und ausländischer Autoren. Die Freiheit schien Freiheit, aber mit den Gesetzen des freien Marktes kamen die finanziellen Probleme. Die Erhöhung der Eintrittspreise allein kann allerdings die heutige Krise nicht ausreichend erklären. Aus passiven Zuschauern und Zuschauerinnen sind heute handelnde Personen geworden. Das Problem ist bestimmt nicht die um sich greifende gesellschaftliche Frustration, sondern das im allgemeinen Bewußtsein fast schon gefährliche Bedürfnis, aktiv zu sein. Drei Stunden auf einem Platz zu verharren, erscheint immer mehr als Luxus, den sich heute kaum jemand mehr leisten will. Wer dennoch weiter ins Theater geht, hat keine Zeit für Experimente, vertraut dem Bewährten, geht ins Nationaltheater und ins »Theater auf den Weinbergen«. Hier sind die Schauspieler und Schauspielerinnen aus dem Fernsehen bekannt, hier bildet das repräsentative Interieur einen zusätzlichen Anreiz. Der politische Jugendfrühling der anderen Prager Theaters mag vergangen sein, der damals überlebensnotwendige, scharfsinnige Humor ist ihnen jedoch geblieben. Er könnte ja wieder gebraucht werden. Mriana Bilkowa