Medienschelte und Besserwisserei

Eine Antwort auf den taz-Artikel „Die neue Lesart“ von Peter Glotz vom 22.August  ■ Von Tilman Zülch

Was, Herr Glotz, ist denn die deutsche Presse, und wer ist der Überguru, dem gelungen sein soll, was Ihnen und manchem Ihrer politischen FreundInnen trotz großer Bemühungen nicht vergönnt war, nämlich diese gleichzuschalten? Gleichzuschalten womit, mit der Wahrheit oder Ihrer Meinung? Von den tatsächlichen Vorgängen im ehemaligen Jugoslawien weiß doch jeder Zeitungsleser mehr als das, was Sie so wiedergeben.

Nur einige Beispiele: Sie bemängeln, die deutschen Medien würden die wöchentlichen Berichte des Generalsekretärs der UNO und die Dokumente des Internationalen Roten Kreuzes nicht veröffentlichen. Das stimmt, aber daß beide Organisationen sich absolut unfähig erwiesen haben, die Weltöffentlichkeit über Massenvertreibung und Völkermord zu informieren, konnte man doch überall lesen. Auch, daß die UNO und das Internationale Kommitee des Roten Kreuzes (IKRK) monatelang schamhaft verschwiegen haben, daß in Serbien hunderttausende Moslems in Konzentrationslagern zusammengepfercht leben oder sterben. Dazu haben allerdings auch Sie mal wieder nichts gesagt.

In ihrer Medienschelte und Besserwisserei werden Sie ja auch noch präzise: Der Welt werfen Sie vor, daß das Blatt es gewagt habe, nach der Existenz dieser Vernichtungslager zu fragen. In der Berichterstattung erwünschten Sie sich die Namen derer, die aus den KZs entkamen und darüber aussagen konnten. Das ist schon fast Beihilfe zum Mord, denn wie es den zurückgelassenen Angehörigen dann ergeht, kann sich jeder mit ein bißchen Phantasie oder einem Fünkchen von historischen Gedächtnis selber ausmalen.

Und dann zu Ihrer privaten Meinung, die nur noch Herr Augstein mit Ihnen teilt, der serbische Angriffskrieg sei ein geradezu „klassischer Ethnokonflikt in einer Völkermischzone“, so eine Art folkloristisches Spektakel. 52 Milliarden Dollar hat es die Amerikaner und nicht zuletzt die Bundesrepublik zu Zeiten Helmut Schmidts gekostet, für das ungebundene kommunistische Jugoslawien eine der modernsten Armeen hochzurüsten. Die machtbesessene jugoslawische Offizierskaste verteidigt jetzt mit diesem Arsenal die Interessen einer privilegierten Klasse, ihre eigene Klassengesellschaft also. Das Wort kennen Sie doch, oder?

Als ob es noch bestritten wird, daß die selbsternannten Ideologen des „Herrenvolkes der Serben“ mit den Moslems umgehen wie weiland die Nazis mit den Juden. Dies sagte auch der in dieser Frage sicherlich unverdächtige Präsident des israelischen Parlaments, Schewach Weiss, nachdem britische Journalisten die ersten Berichte über die Konzentrationslager um Omarska gesendet hatten. Genau jene britische Presse, die Sie dem deutschen Leser wegen ihrer Zurückhaltung gegenüber Verbrechen serbischer Einheiten empfohlen hatten.

Es gab serbischen wie kroatischen Widerstand

Und woher, Herr Glotz, nehmen Sie plötzlich Ihre Begeisterung für den „hochangesehenen Generalsekretär der Nato“, Lord Peter Carrington? Sie behaupten, die deutschen Blätter hätten den Verhandler behandelt wie einen „senilen Trottel“. Carrington, darüber sind wir uns alle einig, hat absolut versagt, und das darf man doch wohl schreiben. Selbst sein vorhergehendes Engagement, für „Kissinger Associates“ in Amerika Yugocars aus Belgrad zu verkaufen, ist damals gescheitert. Das müßte Ihnen längst bekannt sein. Sie fordern die Medien zu objektiver Berichterstattung auf. Aber bitte nicht so, wie Sie es versuchen: mit dem ewigen Beschwören des kroatischen Ustascha- Klischees setzen Sie die Berichterstattung im primitiv-antifaschistischen Agit-Prop-Stil des alten Neuen Deutschland unseliger DDR-Zeiten fort. Vielleicht wissen Sie es noch immer nicht: es gab das faschistische Kroatien und das ebenfalls von Hitler eingesetzte serbische Regime des General Nedic. In den Konzentrationslagern beider System verschwanden die jüdischen Gemeinschaften von Zagreb und Belgrad. Schließlich gab es serbischen wie kroatischen Widerstand. Ebenso auch kroatische Opfer des Faschismus, wie es heute auch serbische Opfer gibt. Und schließlich sind da noch die mehreren hunderttausend von den Tito- Partisanen ermordeten Bürger Jugoslawiens, die Sie bisher immer unterschlagen haben.

Die Neue Zürcher Zeitung, die Sie als leuchtendes Vorbild und Alternative zur „schneidigen deutschen Gesinnungspublizistik“ loben, liegt nun allerdings auch nicht auf Ihrer Linie. Schreibt dort doch der reaktionäre Leitartikler genau das Gegenteil von dem, was Sie uns weismachen wollen: Daß die serbischen Truppen das Lexikon des Grauens unseres Jahrhunderts um einen Terminus bereichert haben: die Wortkombination „ethnische Säuberung“. Er fügt hinzu, daß sich die Europäer instinktiv dagegen sträubten, Verbrechen dieser Größenordnung zur Kenntnis zu nehmen und erinnert an die „Ungläubigkeit des Westens“ vor 50 Jahren angesichts der Alarmrufe des Jüdischen Weltkongresses über den Holocaust. Damit ist nun wohl das gemeint, was Sie — siehe oben — einen geradezu „klassischen Ethnokonflikt in einer Völkermischzone“ nennen. Weiter so, Herr Glotz, dann versteht Sie überhaupt keiner mehr.

Der Autor ist Vorsitzender der „Gesellschaft für bedrohte Völker“.