Die höchste Kunstform unserer Zeit

■ Präsident zu verkaufen: Das Medien-Monopoly im US-Wahlkampf

Ben H. Bagdikian, 72, war in den letzten drei Jahren Leiter der „Graduate School of Journalism“ an der Universität Berkeley in Kalifornien. Der Journalist Bagdikian, der schon mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde, ist Autor des Buches „The Media Monopoly“. Darin analysiert er den wirtschaftlichen Konzentrationsprozeß in den US-Massenmedien. Die taz sprach mit Bagdikian über den amerikanischen Wahlkampf im Fernsehen.

taz: Bei ihren Wahlkampfterminen treten Bill Clinton und Präsident Bush oft vor menschlichen Mauern aus Krankenschwestern, Polizisten oder Kirchenchören auf. Sie zeigen sich auch gern auf Baseballfeldern oder mit Feuerwehrautos. Die Clinton-Gore-Kampagne hat den Hollywood-Producer Mort Engelberg angeheuert. Marktforschungsunternehmen arbeiten am Image, an den Strategien und Positionen der Kandidaten wie an einem Konsumprodukt. Wie beeinflußt das Fernsehen den Wahlkampf der USA und andersherum?

Ben H. Bagdikian: Das Fernsehen hat die gesamte Innenpolitik der USA — und so auch die Wahlkämpfe — völlig verändert. Mit katastrophalem Ergebnis: In den fünfziger und sechziger Jahren mußten die Präsidenten und Kandidaten wenigstens noch vor großen Menschengruppen — etwa Farmern, Wirtschaftsleuten und Arbeitern — für eine längere Zeit sprechen. Sie mußten sich in einer halb- bis einstündigen Rede bewähren. Sie mußten etwas erzählen, das eine gewisse Substanz hatte und sich auf die Probleme der Leute bezog, denn zumindest auf ihrem eigenen Gebiet waren diese Leute nicht so leicht in die Irre zu führen. Das Aufkommen des Fernsehwerbespots als machtvollstem Verkaufsinstrument in der menschlichen Geschichte bot die Möglickeit der Verkürzung, der landesweiten Verbreitung und der blitzschnellen Reaktion. Eine Message in wenigen Sekunden zu verkaufen wurde zu einer der höchsten Kunstformen unserer Zeit: Symbole und Emotion statt Substanz. Und da die Leute an Werbespots gewöhnt sind und von ihnen keine Wahrheiten erwarten, geht es nur darum, die Gefühle der Leute zu bewegen, Assoziationen auszulösen. Und was die Leute bewegen könnte, wird durch kommerzielle Umfragen, die ständig stattfinden, ermittelt.

Die Journalistin Barbara Ehrenreich schrieb kürzlich in einem Artikel, daß kaum noch ein Unterschied dazwischen bestehe, US-Präsident zu sein oder sich darum zu bewerben. Sind die Medien schuld an dieser Entwicklung, oder ist sie im politischen System begründet?

Der Wahlkampf ist nur noch die Karikatur eines demokratischen Wahlkampfs, das politische System dieses Landes ist dadurch völlig heruntergekommen. Die Fernsehwerbung und die Umfragen erfordern riesige Geldsummen. Wer in ein politisches Amt gewählt wird, muß bereits am Tag der Amtseinführung wieder beginnen, Geld für den nächsten Wahlkampf zu sammeln. Ein durchschnittlicher US-Senator muß, wenn er seine sechsjährige Amtszeit beginnt, jede Woche mindestens 10.000 Dollar zusammenbekommen. Dieses Geld kommt nicht von Witwen und Waisen. Es kommt von denen, die das Geld haufenweise haben. Nachdem erkannt wurde, daß das Fernsehen ein sehr teures, aber äußerst effektives Instrument ist, flossen ungeheure Geldmengen in den politischen Prozeß ein. Unter anderen Umständen würde man dies als das bezeichnen, was es ist: Bestechung — und eine Mißachtung der BürgerInnen, der Öffentlichkeit. Diese Art der symbolischen Politik macht uns auch immer weniger fähig, mit den realen Problemen des Landes umzugehen. Für das kommerzielle Fernsehen sind Verkürzung und Symbolik eine gute Sache, da die ZuschauerInnen hauptsächich am Umschalten gehindert werden müssen. Das geht am besten, wenn sich das Bild jede Sekunde ändert. Viel Dramatik, schneller Wechsel. Die Zeitungen bemühen sich seit längerem, diese Häppchenstrategie zu imitieren — im Prinzip gegen ihre ureigenen Interessen. Bloß nicht zu lang sein, das schreckt die Leute ab. Dabei würde ein arbeitsloser Automobilarbeiter sicher gerne mehr darüber lesen, was mit der Autoindustrie passiert.

Was halten Sie von der Fernsehberichterstattung über die Parteitage der Demokraten und der Republikaner?

Diese Versammlungen sind inzwischen fast bedeutungslos. Sie sollen die Aktivisten in den Parteien an- und aufregen. Nach dem Motto: Unser Kandidat ist der Gewinner. Sie sind eine echte Fernsehproduktion geworden, ihre eigentliche Funktion — politische Debatten und Verhandlungen zwischen den einzelnen Fraktionen und Flügeln der Parteien — haben sie so gut wie verloren.

Und die JournalistInnen diskutieren im Fernsehen über die Größe der roten, blauen und weißen Luftballons ...

Es gab durchaus noch Kritik in der Berichterstattung über die Parteitage im TV. Doch Strategie und Drama sind immer wichtiger geworden. Hat die Rede funktioniert? Wie gut waren die Darsteller? Wie sahen sie aus? Und für jedes mögliche Thema werden von den TV-Sendern, Magazinen und Zeitungen Umfragen gemacht, selbst wenn die befragten BürgerInnen über das jeweilige Thema so gut wie nichts aus den Medien erfahren haben. Mit Umfragen — im Gegensatz zu kritischen Hintergrundberichten und Kommentaren — verärgert man sich auch die Werbekunden nicht.

Auch im öffentlichen Fernsehen, dem Public Broadcasting System (PBS), scheinen in diesem Wahlkampf die konservativen Kommentare zu dominieren. Hat es einen Rechtsruck gegeben?

Es gibt diesen Schwung nach rechts. Überall. Von rechts kommt das Geld, das die Parteien und die Politik finanziert. PBS wurde von der Regierung dazu gezwungen, Sponsoring durch die Industrie zu akzeptieren. Die Konzerne sind an kontroversen Sendungen und radikalen Standpunkten nur sehr begrenzt interessiert. Selbst die Demokraten sprechen jetzt von sich als 'Partei der Mitte‘.Interview:

Hans-Hermann Kotte, Berkeley