: „Nach hinten raus und ab in die alte Kiesgrube“
CSU-Kreisrat als Müllschieber?/ Jahrelang verbuddelte ein CSU-Politiker und Transportunternehmer rund um Memmingen illegal Müll/ Der Landrat und diverse CSU-Größen sind seine Freunde/ Die Staatsanwaltschaft ermittelt ■ Von Klaus Wittmann
Memmingen/Benningen (taz) — Die Großkopferten, vor allem aus der CSU, mag der Transportunternehmer und Kreisrat Ludwig Gaum besonders gern. In seinem luxuriösen Feriendomizil im Weitnauer Tal durfte er schon so manch bekannten Politiker als seinen Gast bewirten. Erst vergangenes Wochenende trafen sich dort die Unterallgäuer CSU-Spitzen wieder zu ihrer jährlichen Klausurtagung. Eine besonders gute Beziehung unterhielt der Unternehmer zum ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß.
Dabei haftet dem strammen CSU- Kreisrat aus der kleinen Gemeinde Benningen bei Memmingen schon lange der Ruf an, bei seinen Müllgeschäften würde es nicht mit rechten Dingen zugehen. Doch immer wieder kam der bauernschlaue Unterallgäuer gerade noch einmal mit einem blauen Auge davon. So auch 1986, als ein Ermittlungsverfahren wegen illegaler Müllbeseitigung gegen ihn eingestellt wurde. Doch jetzt scheint sich für den Müllschieber Gaum das Blatt zu wenden. Dabei sind es diesmal nicht die Grünen und auch nicht die SPD, die den Stein ins Rollen brachten. Es ist ein Unternehmer, der Gaum angezeigt hat und zwar der Betreiber der Memminger Gewerbemüll-Sortier-Anlage, die Firma Neidhardt GmbH. Deren Geschäftsführern ist nämlich aufgefallen, daß trotz einer entsprechenden Gewerbemüll-Satzung „bestimmte Gewerbebetriebe ihren Müll nicht zur Sortieranlage bringen.“ Bei den Recherchen, sagt Neidhardt-Geschäftsführer Wolfgang Zacherle, sei man auf die Firma Gaum gestoßen und habe herausgefunden, daß diese Firma nur vierzig Prozent des Mülls ihrer Gewerbekunden an der Sortieranlage anliefert. Sortiert werden muß aber der gesamte Abfall.
Weitere Nachforschungen hätten dann ergeben, daß Gaum auf seinem Betriebsgelände eine illegale Müllumladestation betreibt, Müll nach Belieben mischt und „anderweitig beseitigt“. Das wiederum gefährde in erheblichem Maß die Existenz der Sortieranlage und womöglich auch die Umwelt. Was Gaum alles der Sortieranlage unterjubeln wollte, macht das Neidhardt-Management an einigen Beispielen deutlich: Am 04.06.92 wurde um 7.45 Uhr ein 10-Kubikmeter-Container mit Müll der Memminger Wohnungsbaugenossenschaft abgeliefert. Darin befand sich jedoch statt des angegebenen Bauschutts über eine Tonne vergammelten Käses eines Käsegroßhandels. Im Abfall des städtischen Krankenhauses waren große Mengen Fliesen eines Fliesenhändlers aus dem Landkreis. Außerdem wurde einigen Firmen, zum Beispiel der Firma Stahlgruber, die ordnungsgemäße Beseitigung von Müll, im vorliegenden Fall 1.658,11 Mark für acht Kubikmeter, in Rechnung gestellt. Zur Sortieranlage kam dieser Abfall jedoch nie. Trotzdem war auf der Gaum-Rechnung jeweils vermerkt: „Bitte beachten Sie, ab 09.04.1992 muß der gesamte Müll der Stadt zur neuen Sortieranlage gefahren werden.“ Berechnet wurde den Firmen also die Sortierung, erfolgt ist sie jedoch nicht.
Aber wohin kam dann der unterschlagene und von Gaum „versilberte Müll? Ein Ex-Mitarbeiter hat unserer Redaktion detailliert berichtet, was damit passiert ist. Er hat seine Angaben auch gegenüber der Kriminalpolizei zu Protokoll gegeben. „Holz, Folien, Kabel, Farbdosen, oft noch halbvoll, Dachrinnen und vieles mehr haben wir auf der stillgelegten Bauschuttdeponie in Herbishofen verbuddelt.“ Auch Holzschutzmittel und ähnliches sei dabeigewesen. Manche Löcher hätten gestunken, er habe dunkle Flüssigkeiten gesehen. Kollegen hätten auch von abgelagertem Altöl an verschiedenen Stellen berichtet, er selbst habe das jedoch nicht gesehen.
Laut Auskunft des Landratsamtes Unterallgäu in Mindelheim wurde 1982 die Bauschuttdeponie regierungsamtlich geschlossen. Doch das hinderte Ludwig Gaum offensichtlich nicht daran, bis in die jüngste Zeit dort Müll vergraben zu lassen. „Das Zeug hat man gesammelt auf‘m Hof vom Gaum. Die Halle hat man als Maschinenhalle ausgegeben, aber da hat der den ganzen Dreck reingeworfen. Wenn dann genügend beisammen war, hat man das Tor aufgemacht, ist nach hinten rausgefahren über die neue Umgehungsstraße. Vorher hat man das Zeug noch mit etwas Erde abgedeckt, damit die Anwohner nicht sehen, was in den Containern ist. In der alten Kiesgrube ist schon der Baggerfahrer gestanden und hat das gleich wieder mit Erde zugedeckt“, berichtet der Ex- Mitarbeiter. Den Fahrern, so der Informant, sei keine andere Wahl geblieben. Sie hätten die Blitzaktionen, die seit zig Jahren — mit Vorliebe am Freitag vormittag — durchgeführt worden seien, mitmachen müssen. Eine Stellungnahme ist weder von der Firma Ludwig Gaum noch von den Anwälten zu bekommen.
Als am Mittwoch vormittag auf Weisung der Staatsanwaltschaft die Bagger anrückten, um die ehemalige Bauschuttdeponie zu öffnen, mußte ein Gaum-Mitarbeiter Wache stehen und Journalisten den Zutritt verwehren. Doch schon die ersten Baggerschaufeln förderten Dinge zutage, die der Memminger Landtagsabgeordnete Herbert Müller in einem Brief an den bayerischen Innenminister als „weit schlimmer als meine schlimmsten Erwartungen“, bezeichnete: Staubsauger, Elektrokabel, Folien, Styropor- und Plastikmüll und vieles mehr. Müller wie auch sein Kollege Raimund Kamm (Die Grünen) fordern nachdrücklich eine umgehende Öffnung sämtlicher Gaum-Deponien, denn das unmittelbar angrenzende Trinkwasserschutzgebiet und somit das Memminger Trinkwasser könnten in Gefahr sein. Es sei nicht auszuschließen, daß noch weit schlimmere Dinge, wie zum Beispiel Öl und Chemikalien, einfach vergraben worden sind.
Daß der Müll tatsächlich bis in die allerjüngste Zeit auf die seit zehn Jahren geschlossene Deponie gekippt wurde, ist sehr schnell deutlich geworden. So trägt ein ausgegrabener Beton-Prüfstein das Datum 11.6.92. Am Donnerstag entdeckten wir dann auf einem frisch ausgegrabenen Müllberg eine leicht angegilbte Zeitung mit dem Datum 22.7.92. Der Staatsanwalt zeigte sich völlig überrascht, als wir anfragten, ob denn auch bei den beiden anderen Deponien gegraben werde, wo ja angeblich auch Chemikalien abgelagert worden sein sollen. „Ich weiß nur von einer weiteren Deponie, aber gut, daß Sie mir das sagen. Ich will mir das gleich mal notieren.“
Immer wieder gehen neue Hinweise aus der Bevölkerung auf weitere im Umkreis verstreute Müllablagerungen durch die Firma Gaum ein. Dem Abgeordneten Kamm wurde zugetragen, daß häufig bei Bauarbeiten von Gaum im „Drei- Schicht-Betrieb“ gearbeitet wurde: eine Schicht Müll, eine Schicht Kies, eine Schicht Teer.
Der Unterallgäuer Landrat Hermann Haisch (CSU), der Gaum als „guten Freund“ bezeichnet, versichert, von alldem nichts gewußt zu haben. Zwar habe Gaum vor längerer Zeit die Genehmigung für eine Müllumladestation auf seinem Gelände beantragt, aber genehmigt worden sei diese nicht. Er, so Haisch, hätte keine Ahnung davon gehabt, daß diese nicht genehmigte Anlage längst illegal betrieben wird. Für ihn gelte Gaum solange als unschuldig, bis er rechtskräftig verurteilt ist. Als unfair bezeichnet es Haisch, daß wir ihn nach seinen angeblich gemeinsamen Urlauben im Ferienhaus von Gaum befragen. „Gemeinsame Urlaube hat es nie gegeben. Wir sind schon mal miteinander zum Presseball gefahren, aber Ferien haben wir noch nie miteinander gemacht.“ Daß nun just am vergangenen Sonntag die Kreistagsfraktion, wie schon seit vielen Jahren, ihre Klausurtagung in Gaums Ferienhaus im Weitnauer Tal abgehalten hat, sei alte Tradition, die immer auch mit einem Gottesdienst verbunden sei. Außerdem hätte er erst am Tag vor dem Treffen von den Vorwürfen gegen Gaum erfahren. So kurz habe man auch nicht mehr umdisponieren können.
Den bayerischen Landwirtschaftsminister Ignaz Kiechle soll es dem Vernehmen nach am Sonntag nur kurz bei der Klausurtagung gehalten haben. Er habe ganz schön die Nase gerümpft, wird berichtet.
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