Die Bundesbank lockt die Mafia an

Infolge der restriktiven Geldpolitik suchen deutsche Kreditnehmer nach günstigen Finanzquellen im Ausland und stoßen dabei auf die Mafia, die ihr Schwarzgeld legalisieren lassen will  ■ Aus Palermo Werner Raith

Auf seine Nase hat sich Don Pippo „schon immer absolut verlassen können, und so wird's auch diesmal sein.“ Ausgestreckt zum Schnuppern hat der ehemalige Bauunternehmer, ehemalige Fischereiflottenbesitzer, ehemalige Hotelier, ehemalige High-Tech-Förderer und nunmehrige Finanzier aus Trapani mit Residenz in Palermo, sein Riechorgan derzeit in nördliche Gefilde, genauer gesagt, Richtung Rhein-Main. Von dort bekommt er jeden Tag Meldungen in sein kleines Büro, das so gar nicht wie das eines erfolgreichen Managers, sondern eher wie ein durchschittliches Beamtenstübchen aussieht. Mal tickern Aktienkurse von der Frankfurter Börse durch, dann laufen Hunderte von Artikeln über Fax ein, großenteils in englisch und deutsch, die sich der Don von drei gut ausgebildeten Übersetzern wörtlich übertragen läßt.

Don Pippo gilt in Palermo, die respektvolle Anrede „Don“ zeigt es, als typischer Vertreter der neuen Generation gefürchteter und gleichzeitig geachteter Männer mit viel Reichtum unklarer Herkunft. Eine Art Mafia-Yuppie sozusagen. Unstreitig ist, daß sein Vater Calogero einst in den Vereinigten Staaten eine wichtige Rolle in der Cosa Nostra spielte und dann eines Tages auf Nimmerwiedersehen vom Erdboden verschwand.

Don Pippo selbst hat Volkswirtschaft studiert, allerdings nicht abgeschlossen: „Drei Semester waren genug.“ Zwei seiner Brüder sind im diplomatischen Dienst untergekommen, ein dritter aus der kinderreichen Familie sitzt im Knast. Er wurde als Auftraggeber für mehrere Heroinsendungen ausfindig gemacht und bei einem Waffendeal ertappt, bei dem es auch Tote gegeben hatte.

Pippo selbst hatte zwar einige Ermittlungsverfahren am Hals, „aber nur als Verwandter meines Bruders“, nicht wegen eigener Aktivitäten. Daß die Antimafia-Kommission sich der Herkunft seines Reichtums seit Monaten widmet, hat er „läuten gehört, aber das kümmert mich nicht, sie werden nichts finden.“ Das glaubt man.

Don Pippo gebietet mittlerweile über ein verwirrend verschachteltes Finanzimperium. „Da ist es doch ganz natürlich, daß ich dort nach Anlagemöglichkeiten Ausschau halte, wo es besonders rentierlich ist.“ Derzeit ist das eben Deutschland. Seine Nase hat ihm dabei gesagt, daß „in den vergangenen Wochen viele einen Kardinalfehler gemacht haben — sie haben auf eine Aufwertung der Mark spekuliert.“ Das könne man ja, sagt Don Pippo, aber „damit fängt man langfristig nur kleine Fische.“ Pippo setzt statt dessen auf etwas anderes: „Auf die Bundesbank. Die ist derzeit für unsereinen der große Hoffnungsträger.“ Daß das deutsche Geldhüteinstitut unverblümt auf Kollisionskurs mit der Regierung gegangen ist, höchste Zinsen verlangt und nun möglicherweise bald auch noch eine Kreditrestriktion verhängen wird, erfüllt Don Pippos Herz mit froher Erwartung: „Dann werden auch die hochnäsigsten deutschen Banker Geld nehmen, wo sie es bekommen“ — also auch bei ihm. Denn Geld hat er wie Heu zu vergeben, eigenes, vor allem aber das zahlreicher Kunden, die natürlich anonym bleiben wollen. „Eine geradezu einmalige Konstellation“, sagt er, „daß die angesehenste Nationalbank der Welt, dieses Nobelinstitut schlechthin, die Finanzwelt des eigenen Landes zwingt, für die laufenden Geschäfte Moneten zu pumpen, egal von wem und woher.“

Kapitalien unklarer Provenienz

Don Pippo kann einem aus dem Handgelenk sagen, wieviel Leihgeld derzeit auf dem internationalen Markt auftreibbar ist — „legales so um die 500 Milliarden Dollar, illegales wohl das Doppelte“ — und wieviel man damit verdienen kann: drei Monate weiteren Hochzins und ein halbes Jahr Kreditrestriktion vorausgesetzt, dazu kein größerer Krieg, dann hat man bis Jahresende um die acht bis zehn Prozent dazugewonnen.“ Das ist zwar, gemessen an den von Polizei und Volkswirtschaftlern errechneten Profiten aus Drogen- und Waffenhandel — wo die Gewinnspanne schon mal bei 90 Prozent liegt —, bescheiden, doch: „Wer sein Geld aus solchen Aktionen bezieht, die doch dem guten Zweck der Finanzierung der deutschen Einheit dienen, wird dort wohl kaum mit diesen dämlichen Nachfragen nach der Herkunft seiner Kapitalien belästigt werden.“

Im Klartext: wer nun in Deutschland anlegt, kann sich einer Variation der klassischen „Kasino“-Ausrede bedienen: Gab man früher bei suspektem Reichtum Spielgewinne an, so darf künftig der Geldverleih im hochzinslichen Deutschland als Begründung für schnelles Monetenwachstum herhalten. Wie Pippo hoffen viele Eigner von Kapitalien unklarer Provenienz erstmals in die höchsten Kreise honoriger Geldzirkel aufzusteigen: Internationale Spekulanten, Unternehmer mit doppelter Buchführung, Finanziers, die mit Wucher oder Valuta-Schiebereien reich geworden sind. Für Pippo und seine sizilianischen Kreise geht es aber noch um mehr: Sie müssen dringend das angeschlagene Image der Unteritaliener aufpolieren. Denn obwohl Mafia, Camorra, 'Ndrangheta, Sacra Corona Unità in den vergangenen Monaten groß in die Schlagzeilen gerieten und mit ihren Attentaten den Eindruck unbremsbarer Potenz erwecken, ist es mit der absoluten Vorherrschaft sizilianischer und neapolitanischer Gruppen im internationalen Bereich vorbei.

Großanleihen der Deutschen

Fernost-Schieber und auch legale Konzerne mit hochentwickelten illegalen Dependencen machen den Mafiaclans ebenso das Leben schwer wie skrupellose Großbanken, die mittlerweile den Schwarzgeldanlegern der Drogenschmuggler- und Erpresserbanden mit deren eigenen Mitteln der Bestechung, Korruption und Einschüchterung und Schlimmerem das Wasser abgraben. Wie Pippo sieht daher eine ganze Reihe schwarzgeldvoller Kollegen in der Legalisierung die größte Chance für den Erhalt des Erworbenen, sind die Einnahmen danach auch bescheidener als im Untergrund. „Klappt die Sache mit den Großanleihen der Deutschen“, sagt Pippo, „dann kann unsereinem keiner mehr.“

Daß das im Untergrund umlaufende Schwarzgeld derzeit mit aller Macht in die Legalität drängt, sehen auch Fachleute der regulären Wirtschaft. Der ehemalige Schatzminister Beniamino Andreatta zum Beispiel erklärte in einem Rundfunkinterview süffisant: „Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Entweder die Bundesbank druckt in Tag- und Nachtschichten Geld — dann kommt Inflation heraus, genau das, was die Deutschen nicht wollen. Oder sie stellt den Geldnachschub ein — dann kommt überwiegend suspektes Geld herein, auch das wollen die Deutschen nicht, aber sie müssen es dann annehmen.

Wie man es dreht und wendet, was derzeit wie deutsches Weltherren- Gehabe aussieht, wird sehr bald als Bumerang auf die Deutschen zurückschlagen.“ Mit den Deutschen, so Andreatta, falle dann wohl die letzte Bastion, die noch mit dem traditionellen Anspruch der Identität von wirtschaftlichem und sozialem Wohlergehen aufgetreten sei. Fiat- Chef Agnelli war dem argumentativ beigesprungen und sprach im engen Kreis bereits von einem „Endkampf zwischen dem etablierten und dem illegal akkumulierten Kapital.“

Olivetti-Chef Carlo De Benedetti fleht die Deutsche Bundesbank in immer neuen Artikeln und Interviews an, neben den wirtschaftlich nachteiligen Folgen für die Partnerländer auch die „gesellschaftlich katastrophalen Konsequenzen ungehemmten Geldzuflusses ohne Kontrolle desselben“ zu bedenken. In einem L'Espresso-Beitrag plädierte er sogar für einen „zeitweiligen Ausschluß der Deutschen Mark aus der sogenannten Währungsschlange“, falls die Deutschen sich nicht einsichtig zeigen sollten.

Das würde eine Freigabe der Deutschen Mark für Spekulationen bedeuten, während sich die anderen Staaten weiterhin in engen Umtauschgrenzen aneinanderbinden. Die Konsequenz wäre dann, daß „nur die Deutschen die Folgen ihrer Politik“, im Klartext, der hereingeholten Spekulation, zu tragen hätten.

Wie die Sache auch ausgeht: Don Pippo jedenfalls denkt an Investitionen von umgerechnet mehreren hundert Millionen Mark — daß der Großteil davon derzeit noch in den dauerverfallenden Lira angelegt ist, hält er für keinen Nachteil: „Wenn Banken Geld brauchen, gilt sowieso der Spruch non olet — es stinkt nicht.“ Hernach bekommt er es in DM zurück, und keiner wird ihm auch in Italien noch an den Karren können.

Was kann da noch schiefgehen?

Damit kann Don Pippo verächtlich auf die „Herummurkser“ herunterschauen, die sich mit vorschnellen Investitionen eine gefährliche Ladung ans Bein geheftet haben: Die bereits Legion gewordenen Aufkäufer ehemaliger DDR-Güter, die nach Rechnung des ermordeten Mafia-Ermittlers Giovanni Falcone damals schon umgerechnet mehr als 70 Milliarden ausgegeben hatten. „Wer sich mit Immobilien versorgt, mag einige Zeit auf lokaler Ebene eine gewisse Bedeutung haben, doch er ist auch sehr anfällig gegen Restriktionen.“

Pippo weiß es aus familiärer Erfahrung: „Die haben uns, als mein Bruder Schwierigkeiten kriegte, alle Häuser und Liegenschaften beschlagnahmt, es hat Jahre gedauert, bis ich wenigstens meine High-Tech- Betriebe wieder flottbekommen habe.“

Geld ist da doch wesentlich mobiler. Und wenn schon die edle deutsche Bankenwelt ruft: Was kann da noch schiefgehen?