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„Nie so eine gefährliche Demo erlebt“

■ In Dresden versucht zur Zeit das Amtsgericht zu klären, wie die Gewalt nach Hoyerswerda kam

Hoyerswerda (taz) — Hoyerswerda? Richtig, da war doch mal was. War das nicht so ähnlich wie jetzt in Rostock? Wieder richtig, die Kleinstadt in Nordsachsen gelangte vor einem Jahr weltweit in Schlagzeilen. Erstmals gelang es dort Rechtsradikalen im Verein mit Sympathisanten, sämtliche Ausländer aus der Stadt zu vertreiben. Der Staat kapitulierte vor der rassistischen Gewalt, die Ergebnisse sind jetzt zu besichtigen.

So dachte man bislang beim Stichwort Hoyerswerda. Tatsächlich aber ist alles ganz anders. Mit Foto und Adresse präsentierte die Dresdener Morgenpost eine Woche nach den Pogromen „Den Mann, der die Gewalt nach Hoyerswerda brachte“. Das Boulevardblatt aus dem Hause Gruner und Jahr hatte damit eine wegweisende Schlagzeile gefunden. Wie auch jetzt in Rostock ging es um die Propagandalüge der Gewalt von rechts und links, den Versuch, antirassistische Aktionen als kriminell zu denunzieren.

„Der Mann“, der angeblich „die Gewalt nach Hoyerswerda“ brachte, soll niemand anderes gewesen sein, als der Anmelder einer Demonstration aus Protest gegen die Hoyerswerdaer Pogrome. Helmut D. war nicht gewillt, diese Denunziation einfach stehen zu lassen. Er klagte gegen die Morgenpost auf Widerruf und Schadensersatz, ein Unterfangen, das nun das Amtsgericht Dresden seit einem Jahr beschäftigt. Am Donnerstag wurde erneut verhandelt, diesmal unter Zuhilfenahme mehrerer Zeugen. Nach längerem Hin und Her hatte sich der Richter der Klägermeinung angeschlossen wonach die Morgenpost- Schlagzeile eine zu beweisende Tatsachenbehauptung ist. Diesen Beweis erbringen sollte nun der Fotograf des Boulevardblattes, ein Mann, der nach eigenen Aussagen sämtliche Krisenherde der Republik fotografiert hat. „Die Gewalttätigkeit dieser Demonstration“, so der under fire man, habe alles übertroffen, was er bis dato erlebt habe. Dies, obwohl er die gesamte Woche zuvor in Hoyerswerda verbracht hatte. Vom Kopf auf die Füße gestellt wurde die Morgenpost-Reportage von einer konzertierten kirchlichen Aktion. Zwei Pfarrer, beide bei der fraglichen Demo maßgeblich daran beteiligt, daß es dem Bundesgrenzschutz letztlich doch nicht gelungen war, einen Krawall zu inszenieren, schilderten den Ablauf so, daß der Richter keine Möglichkeit mehr sah, die Morgenpost zu retten. Der Anwalt des Blattes ließ sich von der voraussichtlichen Niederlage (das Urteil wird in zwei Wochen verkündet) nicht entmutigen — man werde gegebenenfalls in die Berufung gehen.

Die übrige justitielle Aufarbeitung von Hoyerswerda ist dagegen schon so gut wie gelaufen. Mit drei Bewährungsstrafen und einer Jugendstrafe über 15 Monate Haft kamen die Leute, die die Gewalt in Hoyerswerda ausübten, glimpflich davon. Jürgen Gottschlich

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