Fein ausgehörte Tonveränderung

■ Das zweite Wochenende des Musikfestes stand ganz im Zeichen Giacinto Scelsis

stand ganz im Zeichen Giacinto Scelsis

Der Glücksfall schlechthin für den Musikmarkt ist der unbekannt verstorbene Komponist. Das verkannte Genie, das weltfern und als Sonderling nur sich und seine Schrullen pflegte - und dabei einen ganzen Packen Noten hinterließ. Aus diesem unbeschriebenen Blatt läßt sich dann mit einigem Glück ein Mythos machen, an dem viel Reputation und Geld zu gewinnen ist: Er ruhe selig!

Giacinto Scelsi droht ein solches Überphantom der Branche zu werden: Vor vier Jahren nahezu unbekannt gestorben, praktizierte er sich bis dato als Yogi in seiner Villa bei Rom durch den Alltag. Solche lebenslängliche Absenz vom Kulturbetrieb straft die diesermaßen geschmähte Mafia sofort: Flugs behauptete mancher, Scelsi hätte selbst seine Sachen gar nicht geschrieben. Um so besser: je diffuser die Angelegenheit, desto nützlicher ein Symposium!

Im Rahmen eines solchen waren in der Musikhalle jetzt vier Chor- und Orchesterwerke des Italieners zu hören, die - allesamt nach seiner radikalen Neuorientierung in den fünfziger Jahren entstanden - repräsentativ für das Geamtwerk sein dürften. Als Scelsi beginnt, aus der Auseinandersetzung mit indischer Philosophie heraus zu komponieren, wird für ihn der Klang selbst, ja der einzelne Ton zum Zentrum seines Schaffens. Seine Musik verzichtet radikal auf melodische Ereignisse oder rhythmische Impulse. Es entstehen Klangbänder mit sehr fein ausgehörten Tonveränderungen, oftmals mit Vierteltönen dazwischen, die in ihrer Zentralton- Orientierung Auskunft geben wollen vom „Wesen“ eines Klanges selbst. Die meditative Musik verzichtet dabei jedoch keineswegs auf Expressivität, die sich über eine impulsive Dynamik ergibt. Die sorgsam kalkulierte Mischung von Klangdichte und Klangfarbe erwirkt eine Konzentration im Hörer, der gleichsam ent-leert die Ausführungen im Progammheft dann gar nicht braucht. Wie sagt es der Komponist: Denke nicht, laß denken, die nötig haben zu denken. Stefan Rosinski