Namen mit Anspruch

■ Philip Glass, Lou Reed, John Cale u.a. auf dem „Art-Project“ München

Er holte große Namen nach München, der Jungmanager aus Rosenheim. Lou Reed, John Cale, Ornette Coleman, Philip Glass, Gidon Kremer, Paul Hillier, Arto Lindsay. Es ist nicht das erste Musikprojekt, das er veranstaltet — sonst allerdings mit einem Partner —, aber vielleicht sein größtes. Franz Abraham ließ nahezu an jeder Straßenecke Münchens seine Plakate aufkleben, gab Pressekonferenzen und Interviews, zeigte sich siegessicher.

Ein jeder durfte für einen Tag — bei Kremer und Zorn waren es sogar zwei — das Programm gestalten, die für ihn wichtigen Musikerkollegen einladen. Das war zum Teil spannend, bei manchen aber eher entlarvend.

Philip Glass zum Beispiel inszenierte einen Werbeabend für sein neues Plattenlabel „Point Music“, einer Kooperation mit Philips Classics. Er präsentierte das Percussion- Ensemble „Uakti“, den Performance-Künstler John Moran, den afrikanischen Kora-Spieler Foday Musa Suso und natürlich sich selbst. Deswegen waren die Leute ja auch in Scharen herbeigeeilt, wegen der Uraufführung seiner Symphonie „Low“, komponiert nach David Bowies und Brian Enos gleichnamiger Platte von 1975.

Doch auch da wurde mit großem Namen zu hoch gepokert. Bowie und Eno hatten das Niemandsland zwischen anspruchsvoller Popmusik und zeitgenössischer ernster Musik betreten. Glass dagegen versuchte lediglich ein breiteres Publikum zu erreichen, ohne jedoch seinen Anspruch auf Klassik aufgeben zu wollen. Also läßt er ein richtiges Symphonieorchester banalste Sentenzen dudeln. Geigenunisoni von romantischer Einfalt, das Ganze nochmal in Flöte und Trompete. Und natürlich viel Horn und Cello, das hat sich doch seit über hundert Jahren als Schönklang bewährt. Am Ende wabern Bläserchöre kurze eingängige Motive, wieder und wieder. Denn das hat sich Glass von seinem Minimalismus behalten: die schier endlosen Wiederholungen.

Opfer war nicht nur das Publikum, sondern auch die Deutsche Kammerphilharmonie unter der Leitung von Dennis Russell Davies. Sechs Fernsehkameras turnten auf der Bühne herum, der Aufwand schien doch etwas übertrieben, lieferte aber das richtige Stichwort: Filmmusik.

Erschreckend die bodenlose Naivität oder vielleicht auch Frechheit. Wer Bowies melancholisch eingetrübtes Original im Ohr hat, mußte geradezu schockiert sein von der Unbekümmertheit, mit der Glass daraus fröhliches Kunstgewerbe produzierte.

Die Highlights: Das Trio aus Saxophonist Tim Berne, Bassist Mark Dresse und vor allem: Tim Black am Schlagzeug. Kein Name paßte weniger: Zierliche Figur, blonde lange Haare hinten verknotet. Black spielte nicht einfach Schlagzeug, er improvisierte seine eigene Percussion- Symphonie in komplizierten Rhythmus- und Klangschichtungen. Ein faszinierendes Talent, an das hier kaum einer heranreichte. Diesen Abend hatte Lou Reed gestaltet, und es gab noch manches zu bestaunen: Richard Teitelbaums „1492—1942—1992“, mit dem Sologeigner Carlos Zingaro uraufgeführt. Wie ein verschrobener alter Wissenschaftler hockt Teitelbaum an seinem Computer, hinter Knäueln von Kabeln und Drähten. Aber was er da aus zunächst wirr und willkürlich klingenden Konstruktionen hervorzauberte, das ließ eine strenge Dramaturgie erkennen. Sie wirkte von selbst, und als das abgründige Chaos von Auschwitz heraufzog, zerfetzte Rufe, Frauen- und Kinderstimmen durchdrangen, da lief es mir kalt über den Rücken, wie man so sagt. Andere fanden es lustig. Dem Geiger fiel dabei die Aufgabe zu, auf dem Hintergrund künstlicher Klänge individuell Menschliches zu verkörpern.

Ausnahmsweise hatte man nicht den Eindruck, daß Lou Reed vorgeschoben wurde, um weniger Interessantes zu überstrahlen, denn auch Gitarrist Elliot Sharp mit dem „Soldier String Quartett“ war ein Ereignis. Fast neurotisch verbissen entriß er seiner kombinierten E-Bass-Gitarre hämmernde Sounds, das elektronisch verstärkte Streichquartett kratzte dagegen erfolgreich an. Und als dann endlich Lou Reed selbst auftrat — es war bereits nach elf Uhr abends, da erwartete man noch einmal einen Höhepunkt. Aber der war nur schwer zu realisieren, das Publikum erwärmte sich erst, als Reed ein paar alte Hits auspackte, und schließlich noch Laurie Anderson ihren Traum von Blut und Tod erzählte.

Im Begleitensemble — der Schlagzeuger fiel leider aus — beeindruckte der Gitarrist Marc Ribot, der am nächsten Abend eine eigene Session mit seinem Trio veranstaltete. Auch hier wieder die kaum gebändigte Aggression, die sich auf diesem Festival als typisch für die jüdische Musik herauskristallisierte. Am offensten in der Uraufführung von John Zorns „Kristallnacht“. Die Wut kannte keine Grenzen mehr, während der einstündigen Darbietung mußte man sich die meiste Zeit beide, in der Regel ein Ohr zuhalten. Aber das gehörte zum Konzept. Zorn ließ Handzettel verteilen mit der Aufforderung, während der Aufführung den Raum nicht zu verlassen. Kein billiger Werbetrick, denn Zorns Geräusch- und Klangkomposition, durchsetzt mit jüdisch-orientalischen Melodien und Stimmcollagen deutscher Heil-Hitler-Rufer, diese musikalische Aufarbeitung des Holocaust mußte man ernst nehmen, auch wenn man den Spätgeborenen in ihrem Anspruch einer „Radical New Jewish Culture“ nicht ganz folgen will.

Eine Diskussionsveranstaltung mit John Zorn und den beteiligten Musikern sollte da weiterhelfen, brachte ihr Anliegen aber nicht auf den Punkt, vor allem nicht die unterschiedlichen Grundpositionen in der Verteidigung der jüdischen Kultur. Immerhin war es ein Lichtblick für München, daß Zorn die Möglichkeit hatte, ohne programmatische Einschränkungen zwei Tage lang sein eigenes Festival zu präsentieren.