Hessens SPD verteidigt Grundrecht auf Asyl

Auf ihrem Parteitag votierten die hessischen Sozialdemokraten für die unveränderte Beibehaltung des Asylartikels im Grundgesetz/ Schallende Ohrfeige für Parteichef Engholm und Ministerpräsident Eichel/ Auch gegen Out-of-area-Einsätze  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Baunatal (taz) — Stehende Ovationen auf dem Landesparteitag der hessischen Sozialdemokraten am Sonnabend in Baunatal — nicht für den Parteivorsitzenden und Ministerpräsidenten Hans Eichel, sondern für die Grand Old Lady der hessischen Sozialdemokratie, Lisa Abendroth: „Ich habe erfahren, was es heißt, politisch verfolgt zu sein. Und die Genossinnen und Genossen, die nicht in andere Länder fliehen konnten, wurden von den Nazis ermordet. Was würden die Verfolgten von damals wohl zu der Asyldebatte unter Sozialdemokraten heute sagen?“

Die unter die Haut gehende Rede Lisa Abendroths war der Höhepunkt einer knapp fünfstündigen engagierten Debatte um die Pläne der SPD- Spitze in Bonn, den Asylartikel 16 im Grundgesetz — zusammen mit der Union — zu ändern. Die Antwort der hessischen Sozialdemokraten auf den vom sogenannten Petersberger Kreis um Parteichef Bjön Engholm forcierten Kurswechsel fiel eindeutig aus: Mit 161 gegen 133 Stimmen verschärften die Delegierten die Vorlage ihres eigenen Landesvorstandes. Der Parteitag verlangt, daß das verfassungsrechtlich garantierte Individualrecht auf Asyl unangetastet bleibt. „Jede Änderung oder Ergänzung des Artikels 16 Absatz 2 Satz 2 GG wird deshalb von uns abgelehnt.“

Der harte Tritt der hessischen SPD gegen das Schienbein von Björn Engholm, dem zuvor mehrere Debattenredner vorgeworfen hatten, die Partei in eine große Koalition hineinführen zu wollen, löste auch bei Hans Eichel „Phantomschmerzen“ aus. In seiner Grundsatzrede hatte sich der Regierungschef hinter Engholm gestellt und die „Signale von Petersberg“ als Angebot zur Gesprächsbereitschaft mit dem anderen politischen Lager interpretiert. Zwar löse eine Änderung des Artikel 16 Grundgesetz die Probleme nicht — „doch solange die mit Bundeskompetenz ausgestattete CDU/CSU offenkundig zu keiner Bewegung etwa im Zusammenhang mit den Aktenbergen in Zirndorf bereit ist, ohne daß die Grundbedingung der Grundgesetzänderung erfüllt ist, muß die SPD bereit sein, in ein solches Gespräch (über eine Grundgesetzänderung) hineinzugehen“.

Seiner eigenen Partei warf Eichel vor, es zugelassen zu haben, daß inzwischen immer mehr Menschen glaubten, daß eine Änderung des Artikel 16 tatsächlich ein Beitrag zur Problemlösung sei: „Die Wirklichkeit spielt sich in den Köpfen der Menschen ab.“ Durch das Tor Asyl komme eine Anzahl von Flüchtlingen in die Bundesrepublik, die diese Gesellschaft nicht mehr verkraften könne. Es seien auch und gerade SPD-Bürgermeister und Landräte, die der Landesregierung seit Monaten signalisierten, daß sie keine AsylbewerberInnen mehr aufnehmen würden. Der wahre Schuldige für diese Misere, so Eichel in seiner Grundsatzrede, sei der Bundesinnenminister, der seine Pflichten grob verletzt habe: „Es ist kein Zirndorfer Verwaltungsproblem, das sich hier auftut, sondern der offene politische Boykott, um die Stimmung im Lande anzuheizen, um mit dieser hochkochenden Stimmung dann das Grundgesetz demontieren zu wollen.“

Diesen „geistigen Spagat“ (Jusos) des Parteivorsitzenden und Ministerpräsidenten konnten in Baunatal nur die wenigsten Delegierten nachvollziehen. Wenn, wie von Eichel selbst vorgetragen, eine Änderung des Grungesetzes kein Beitrag zur Problemlösung sei, dann sei nicht einzusehen, warum ausgerechnet Sozialdemokraten mit dazu beitragen sollten, daß das Grundgesetz „zum beliebigen Papier“ herabgewürdigt werde, so das Mitglied des Bezirksvorstandes Hessen-Süd, Gernot Krumbach. Und unter dem Beifall der Delegierten erklärte der SPD-Landrat Veith aus Gießen, daß sich die SPD „in der Geiselhaft von Seiters“ befinde. Und in einer solchen Situation denke die SPD über eine Grundgesetzänderung nach — „Was ist denn das für ein Politikverständnis?“ Engholm und die anderen Petersberger seien all den Menschen in den Rücken gefallen, die sich vor Ort für eine menschenwürdige Unterbringung der Flüchtlinge einsetzten und die Parteiposition predigten, daß eine Änderung des Grundgesetzes absolut nichts bringe.

Für die etwa 50 Jungsozialisten in der Baunataler Stadthalle erklärte deren Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti, daß Engholm ohne Not Grundwerte der Partei zur Disposition gestellt habe. Die Jusos drohten mit Parteiaustritt, falls innerhalb der SPD die Engholm-Linie mehrheitsfähig werden sollte: „Artikel 16 bleibt — Björn und Uli (Klose) gehen!“ Das südhessische Juso-Vorstandsmitglied Nina Hauer kündigte an, die Parteijugend sei nicht bereit, dem Vorsitzenden in dieser und in anderen Fragen zu folgen: „Wenn hier keine Entscheidung für die Beibehaltung von Artikel 16 fällt, kann sich die SPD ihre Parteijugend in die Haare schmieren.“

Nach dem Abstimmungsmarathon stand dann fest, daß die hessische SPD dem Parteivorsitzenden nicht nur in der Asylfrage nicht folgt. Die Hessen votierten mit großer Mehrheit auch gegen einen Einsatz von Bundeswehrsoldaten außerhalb des Nato-Auftrags (out of area) und für Blauhelm-Einsätze „ohne Einsatz von Waffengewalt“.