"Wenn nichts passiert, gibt's hier bald Terror"

■ Die Bewohner St. Georgs wollen nicht länger im Drogen-Getto leben. Droht Gewalt, gibt es Auswege?

INTERVIEW MIT BEZIRKSAMTSLEITER PETER REICHEL

»Wenn nichts passiert, gibt's hier bald Terror« Die Bewohner

St.Georgs wollen nicht länger im Drogen-Getto leben. Droht Gewalt, gibt es Auswege?

Das Viertel um Hamburgs Hauptbahnhof sorgte in den vergangenen Wochen immer häufiger für Schlagzeilen: Drogensüchtige und Dealer, Prostituierte und Freier, Odachlose, „Crash-Kids“ und Asylbewerber bevölkern St.Georg. Einem Großteil der Bewohner ist das zu viel. Der Ruf nach einem harten Durchgreifen der Polizei, Geschäftsleute, die mit schwarzen Sheriffs den Steindamm säubern wollen, Eltern, die ihre Kinder nicht mehr alleine auf die Spielplätze schicken wollen, Anwohner, die immer lautstärker den Politikern auf den Leib rücken: Der Protest in St.Georg hat inzwischen viele Facetten. Die taz sprach mit Bezirksamtsleiter Peter Reichel.

taz : Teilen Sie die Befürchtung der Einwohner St.Georgs, daß das Viertel „umzukippen“ droht?

Reichel: Es ist eine sehr bedrohliche Situation. Wir haben dort einen hohen Anteil an Menschen mit sozialen Problemen, rund 54 Prozent sind Ausländer, und wir haben in den zahlreichen Billigpensionen auch viele Obdachlose untergebracht. Dazu kommen das Drogenproblem und die Prostitution - durch diese Ballung ist der Druck auf St.Georg sehr groß. Die Bürger sind inzwischen sehr ängstlich und zornig, fühlen sich im Stich gelassen.

: Bildet sich eine Bürgerwehr?

: Ja, es gibt bereits solche Ansätze. Ich bin sehr häufig vor Ort. Da hört man den Schrei nach der Polizei oder schwarzen Sheriffs. Die Gefahr droht, daß es sich radikalisiert und daß dann Erscheinungen eintreten, die uns allen nicht recht sein können.

: Bis hin zu gewalttätigen Auseinandersetzungen?

: Ja, das könnte ich mir vorstellen. Ich will das natürlich nicht herbeireden, aber ich glaube, daß, wenn nicht bald etwas Entscheidendes passiert, wir Terror im Quartier haben.

: Seit wann ist diese Eskalation spürbar?

: Ich bin ja erst seit dreieinhalb

1Jahren Bezirksamtsleiter, aber schon mein Vorgänger hatte versucht, eine Zuzugssperre für Problemgruppen zu verhängen. Wir wollten damit erreichen, daß auch andere Bezirke etwas von der vielgepriesenen Solidarität spüren lassen. Das hat damals Aufruhr gegeben, und mein Vorgänger wurde angewiesen, solche Anweisungen sofort zurückzunehmen. Im letzten Jahr ist es noch spürbar schlimmer geworden.

: Woran liegt das denn? Hat die Bürgerschaft St.Georg zu stiefmütterlich behandelt, hat das Bezirksparlament geschlafen?

: Die Bezirksversammlung hat schon sehr früh zahlreiche Forderungen an die zuständigen Stellen, wie Sozial-, Jugend- und Innenbehörde, gerichtet.

: Also hat es eine Stufe höher gehapert?

: Ja, ich glaube schon, daß man diese Situation dort eine ganze Weile nicht sehr ernst genommen hat.

: Weil man in der Stadt einige Brennpunkte braucht, um andere Viertel zu entlasten?

: Darauf wage ich keine Antwort zu geben. Wir haben ja mehrere Brennpunkte in Hamburg, aber vielleicht hat man die Dynamik in St.Georg nicht erkannt. Hier existiert eigentlich eine sehr hohe Toleranzschwelle, die Menschen melden sich viel später, als die Anwohner in Blankenese und Poppenbüttel. Aber die gebildeten Leute wissen besser, wie man einen Widerstand organisiert.

: In den letzten Monaten hat sich viel Protest am „Drob Inn“ kristalisiert. Muß es weg, soll es bleiben?

: Es macht keinen Sinn, irgendwo am Rande des Geschehens eine solche Einrichtung zu schaffen. Man muß ja an die Menschen ran,und sie sind nun mal am Hauptbahnhof. Da nützt ein Drob Inn in Farmsen wenig. Nur darf man auch ein Stadtteil nicht mit derartigen Einrichtungen vollpflastern, das Angebot muß über mehrere Viertel entzerrt werden. In St.Georg darf jetzt nichts mehr dazukommen.

1: Und Fixerstuben oder Gesundheitsräume?

: Ich würde so etwas begrüßen.

: Auch in St.Georg?

: Na ja, am Rande. Ich bin mir natürlich der Rechtssituation bewußt. Aber wenn ich erlebe, wie sich die jungen Leute in Parks und auf Spielplätzen in aller Öffentlichkeit Spritzen setzen, dann kann ich nur sagen, es wird sowieso gespritzt. Der einzige Unterschied wäre doch, daß wir dann angeblich Vorschub leisten. Aber wir hätten dann eine Chance, noch an die Menschen ranzukommen, sie von der Nadel loszubekommen. Insofern wäre ich sehr für eine solche Einrichtung, aber auch nur verteilt auf mehrere Bezirke.

: Nach den Protesten der Anwohner ist ja jetzt ein Dialog mit Politikern und Behörden in Gang gekommmen.

:Ja, es ist sehr wichtig, auch mal dem Volk aufs Maul zu schauen und mit denen hautnah in Berührung zu kommen.

Ein längst überfälliger Dialog?

: Ich denke, ja. Es darf jetzt aber nicht beim Konzepte-Schreiben stehen bleiben. Wir waren sehr enttäuscht, daß die SPD-Bürgerschaftsfraktion uns in ihrem neuen Pilot-Programm zu den sozialen Brennpunkten nicht berücksichtigt hat. Ich kann zwar Jenfeld und Dulsberg nicht beurteilen, aber ich kann St.Georg beurteilen — und ich habe mich wirklich gefragt, wenn das hier kein sozialer Brennpunkt ist, welcher sonst?

: Was planen Sie momentan?

: Wir wollen jetzt den Hansaplatz beleben, und planen dort eine Altentagesstätte und einen Stadtteilladen. Unser Wunsch nach einer Elternschule ist bislang noch auf taube Ohren gestoßen, genau wie der Wunsch, im Amt einen Dro-

1genreferenten für Suchtprävention einzustellen.

: Und ihre Stadtentwicklungs-Pläne?

: Den Bereich zwischen Steindamm und Adenauerallee wollen wir zum Sanierungsbereich machen. Da müssen wir vor allem aufpassen, daß nicht durch Gewerbe- und Büroansiedlungen das Viertel als Wohngebiet zerstört wird.

: Haben Sie Hoffnung, daß Sie wenigstens einen Teil Ihrer Wünsche erfüllt bekommen?

: Eins ist absolut sicher, wir werden in St.Georg nie die ganz heile Welt ohne Prostitution oder Jun-

1kies hinbekommen können. Aber wir können vielleicht erwirken, daß es für die Menschen erträglicher wird. Ich denke aber, daß man an St.Georg als sozialem Brennpunkt nicht vorbeisehen kann und daß wir, hoffentlich schneller als früher, zu Verbesserungen kommen.

: Dann müssen Sie doch eigentlich dankbar dafür sein, daß die AnwohnerInnen auf die Barrikaden gegangen sind?

: Ich würde es so sagen: Die Begleitung durch die Bürger ist für den Stadtteil sicher sehr hilfreich.

Fragen: Sannah Koch