ERBARMEN MIT ENZENSBERGER Von Mathias Bröckers

Erbarmen mit dem Elend der Politiker hat Hans Magnus Enzensberger gefordert. Es sei an der Zeit, so der Schriftsteller in der FAZ, „vom Elend der Politiker zu sprechen, statt sie zu beschimpfen. Der Eintritt in die Politik ist der Abschied vom Leben... Politik als Beruf ist das Reich des Immergleichen, der erbarmungslosen Wiederholung. Die Haupttätigkeit eines Politikers besteht zweifellos darin, an Sitzungen teilzunehmen, möglicherweise Jahrzehnte seines Lebens. Die Folgen können nicht ausbleiben.“ Es ist kein „übertriebener Luxus“, meint Enzensberger, „unser Mitgefühl Leuten zuzuwenden, die sich, ohne zu erröten, als Spitzenpolitiker bezeichnen lassen. Aber wie alle Randgruppen, wie Alkoholiker, Spieler und Skinheads, verdienen auch sie jenes analytische Erbarmen, das nötig ist, um ihr Elend zu verstehen.“

Nun mag es zu Zeiten galoppierender Politikverdrossenheit ja vielleicht angeraten sein, einmal den verdammt schweren Job des „Spitzenpolitikers“ ins rechte Licht zu rücken, und im Zeichen wahrer Nächstenliebe ist es ohnehin angesagt, noch dem finstersten Feind Erbarmen zu gewähren — dies aber zu Zeiten, da Randgruppen wie ausländische Flüchtlinge in Deutschland gejagt werden, ausgerechnet in der FAZ zu predigen, zeugt von einer derartigen Erbarmungswut, daß die Frage aufgeworfen werden muß, ob wir nicht die Spitzen-Intellektuellen, statt dauernd mit ihrem Elend Erbarmen zu haben, besser wieder beschimpfen sollten. Kein immergleiches Gelaber, keine jahrzehntelangen Sitzungen, stete Abwechslung in geistigem Luxus und analytischen Moden — und was kommt als Essenz eines weitgehend streß- und langeweilefreien Intellektuellen dann heraus? Nach der dünnen Gleichung „Saddam = Hitler“ nun die dämliche Rechnung „Verkehrminister Krause = mitleidswürdiges Opfer der Macht- und Geltungssucht“ — statt in einem flammenden Essay die doch sehr viel naheliegendere Formel: „BAB-Krause = Reichsautobahn- Hitler“ zu geißeln. Krauses Elend in allen Ehren, aber gegen die Betonpistenvisionen, den Tempowahn und die Tachokratie in seinem Buben- Hirn waren die Verkehrsphantasien des bösen Adi selig geradewegs harmlos — sie verdienen die Beschimpfung, Ächtung und Verdammung in Grund und Boden. Es gibt keinen Grund, das Wahnsystem einer solchen Leitfigur durch öffentliches Erbarmen auch noch zu betonieren. Jeder randalierende Skinhead hat mehr Erbarmen verdient als ein derart vandalierender Minister — während dieser wenig Chancen hatte, es besser zu wissen, hatte jener alle. Und tut es trotzdem. Und was für einen Polit-Zombie vom Schlage Beton-Krause gilt, gilt natürlich, im tiefen Inneren, für jeden selbst: ich soll also, meint Herr Enzensberger, mit meinem kleinen Tempowahn ebenso wie mit meinem kleinen Ausländerhaß, mit der Spielleidenschaft und all diesen anderen idiotischen Macken, die im Gehirnparlament zwar keine Mehrheit, aber doch kleine Nischen besitzen, Erbarmen haben. Ja wie soll aber, wenn selbst ein Autohasser wie ich immer noch in diesen Kisten herumfährt, ein tachokratischer Irrer wie Beton- Krause jemals zur Räson kommen? Deshalb tut man gut daran, beim morgendlichen Blick in den Spiegel statt Mitleid die schonungslose Beschimpfung des täglichen kleinen Irrsinns walten zu lassen. Nach erfolgreicher Gehirnwäsche — vor dem leeren Spiegel — ist dann sogar Erbarmen für Hitler möglich.