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■ Da klappt das Messer in der Tasche auf * "Vera Wesskamp", So., 20.15 Uhr, ARD

Wenn wir uns mit der ARD von der deutschen Linden- auf die Wasserstraße begeben, so können wir uns nach der Pilotfolge der Vorabendserie „Vera Wesskamp“ einhellig zuprosten: Es lebe das Kleinkapital. Es geht um das beschädigte, nichtsdestotrotz mit massenweise menschlichen Werten ausgestattete Idyll des mittelständischen Binnenschiffer-Betriebs. Der ist von Anfang an moralischer Sieger und soll gegen „die großen“ — die wir leider nicht zu Gesicht bekommen — verteidigt werden. Ich hätte mir nie träumen lassen, daß man sich um 80.000 Tonnen Erz Sorgen machen kann.

Deren Transport ist nämlich ernsthaft gefährdet wegen einer Blockade der Holländer, die auf diesem Weg ihre seit 1937 gestrichenen Subventionen vom Staat zurückhaben wollen. Interessant. Zu allem Überfluß macht dieser Dösbattel von Kapitän noch die Ankerkette kaputt, und Herbert muß ran. Der macht seinen Mund zwar nur zum Saufen auf— es fließt überhaupt sympathischerweise viel Klarer stromabwärts—: „ist aber ein begnadeter Mechaniker“. In einer der nächsten Folgen kommt todsicher der Entzug auf ihn zu.

Zwischendurch flitzt Vera, die Reederin mit dem Minirock, von Hintz zu Kuntz, um alle Hebel in Bewegung zu setzen. Und warum das Ganze? Damit sie sich von ihren verzogenen Blagen zu Hause spätpubertäre Sprüche anhören muß, sie habe keine Zeit für den Reitstall. Und überhaupt: dieser fiese, hinterhältige Bruder Wilhelm, der den ganzen, schönen Laden am liebsten auf der Stelle verkaufen würde und die Familie gegen Vera aufhetzt. Da klappt dem Vorabend-Zuschauer natürlich das Messer in der Tasche auf.

Das Messer geht jedoch alsbald wieder zu. Denn zum Glück gibt es die spätaristokratische Großmutter, die den benötigten Ersatzmatrosen überredet anzuheuern, damit die Frau des Kapitäns ihr Kind bekommen kann. Schließlich kommt noch der nette Holländer mit der guten Nachricht: Blockade aufgehoben, last minute rescue.

Am Ende ist alles im Lot. Bis auf den Umstand, daß die Frau des Kapitäns trotz Schwangerschaft raucht wie ein Schlot und dies auch nach wiederholter Aufforderung nicht sein läßt. Aber das ist der Unterschied zwischen einer sozialdemokratischen ARD-Seifenoper und einer christdemokratischen wie etwa der ZDF-„Schwarzwaldklinik“: In letzterer ist am Ende immer mindestens alles vollkommen in Butter. Hier aber wittert der erfahrene Vorabend-Zuschauer mindestens eine Fehlgeburt. Wir sind schon gespannt auf den Streik der Lotsen und vor allem auf die Flußpiraten. Manfred Riepe

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