Das Deutschenproblem

■ betr.: "Nichts gelernt seit Hoyerswerda?" von Vera Gaserow, taz vom 25.8.92

betr.: „Nichts gelernt seit Hoyerswerda?“ von Vera Gaserow,

taz vom 25.8.92

Vera Gaserow hat Recht wenn sie auf die Verantwortung von Politik und Medien hinweist. Die Neonazis schwimmen wie ein Fisch im Wasser der Antiflüchtlingskampagne. Wer wie Herr Schäuble das Asylrecht zum Wahlkampfvehikel macht, um aus der politischen Defensive herauszukommen, wer wie die Innenminister der Länder Zentrallager für Flüchtlinge einrichtet oder wie unter Herrn Engholm alle Flüchtlinge in Schleswig-Holstein zum „Zählappell“ antreten läßt, der darf sich über Schlägereien, Brandstiftungen und Mordanschläge nicht wundern. Da ist es nur eine zusätzliche Bestätigung, wenn Bundesinnenminister Seiters großes Verständnis für die Applaudiererinnen bekundet oder Herr Thierse niedrigere Flüchtlingsquoten für die FNL fordert. [...]

Daß der Anteil der Ausländer in der NDOZ etwa ein Prozent beträgt, zeigt besonders deutlich, daß es sich keinesfalls um ein Ausländerproblem, sondern um ein Deutschenproblem handelt.

Es ist kein handwerkliches Unvermögen, keine kontraproduktive Taktik, daß die maßgeblichen Politikerinnen auf oben beschriebene Weise auf den von unten kommenden extremen Nationalismus reagieren. Was dahinter steckt, ist die Verwandtschaft zwischen gemäßigten und extremen Nationalistinnen, die in dem Ziel, die Anzahl der Flüchtlinge zu reduzieren, bis zur vollständigen inhaltlichen Übereinstimmung reicht. Der eine Teil des nationalen Spektrums fordert vom anderen Teil, er solle nicht nur reden, sondern endlich handeln, während der andere Teil administrative Maßnahmen ergreift und nur die Methode der direkten Gewaltanwendung (von Zwangsabschiebungen abgesehen) mehr oder weniger energisch ächtet. Die maßgeblichen Politikerinnen von CSU, CDU, FDP und SPD und die zuzuordnenden Medien müssen das Problem auf die Gewaltfrage reduzieren, sonst müßten sie ihre ausländerfeindliche Politik insgesamt in Frage stellen. Das würde wiederum bedeuten, auf das Ausländergesetz als Mittel der gesamtstaatlichen Personalplanung zu verzichten, Einbürgerungen zu erleichtern, die Staatsangehörigkeit nach dem Territorialprinzip und nicht als Abstammungsgemeinschaft zu definieren, ein Bleiberecht für geschiedene ausländische Ehepartner zu gewährleisten, den Nachzug von Großeltern, Kindern und anderen nahen Verwandten zu ermöglichen, Doppelstaatsbürgerschaften zuzulassen, die Bevorzugung von Deutschen bei der Vergabe von Arbeitsplätzen durch das Arbeitsamt zu streichen und auch die restliche Sozialgesetzgebung zu demokratisieren, ausländische und staatenlose Studenten nicht länger vom Bafög auszuschließen, nicht nur katholischen, sondern auch islamischen Religionsunterricht an Schulen zu ermöglichen, erhöhte Tarife für Ausländerinnen bei der Autoversicherung zu verbieten, sich nicht weiter um die Finanzierung fremdsprachiger Radio- und Fernsehprogramme zu drücken und so weiter. Die politischen Kräfte um das Selbstbestimmungsrecht für Ausländer in Deutschland durchzudrücken sind nicht in Sicht. Statt dessen werden sechs Millionen Gastarbeiter und Flüchtlinge in einer konzertierten Aktion von unten und von oben in Angst und Schrecken versetzt. Eins ist gewiß: das Deutschenproblem bleibt uns noch lange erhalten. Amelie Müller, Bielefeld