Die "große elektronische Aufklärung"

■ Das BKA treibt ein gefährliches Spiel mit Sicherheitserwartungen der Bevölkerung

Die „große elektronische Aufklärung“ Das BKA treibt ein gefährliches Spiel mit Sicherheitserwartungen der Bevölkerung

In der Auseinandersetzung um die Notstandsgesetze bekannte der damalige Innenminister Hermann Höcherl, die Notdienstgesetze habe er in Zivildienstgesetze umgetauft, „um die Nerven zu schonen“. Dem folgend plädiert der Präsident des BKA, Zachert, dafür, den Begriff „Lauschangriff“ (eingeführt durch Geheimdienste in der Traube-Affäre 1977) durch „elektronische Aufklärung“ zu ersetzen. Zachert versucht, den Eingriff in die „Unverletzlichkeit“ der Wohnung schmackhaft zu machen. Er spricht von „Schwachstellen“ und hält gegenüber schweren Verbrechen gesetzliche Befugnisse für erforderlich, die nicht mehr vor der Wohnung haltmachen.

Persönliche Sicherheit und Angst vor der Mafia stehen in den Augen der Bevölkerung an der Spitze der ungelösten Probleme der Republik. Zachert konnte sicher sein, daß die Union diesen Vorschlag unterstützt und zu Wahlkampfzwecken benützt. Solche Praxis hat sich in den letzten Jahrzehnten bewährt: Man verspricht „Sicherheit“ und suggeriert damit, die „Bekämpfung“ der besonders schweren Kriminalität sei mit solchen Befugnissen möglich. Liberalen, Sozialdemokraten, Grünen und Bürgerrechtlern wird im Falle von Einwänden vorgeworfen, ihnen seien rechtsstaatliche Grundsätze und Verfahren wichtiger als „Sicherheit“. Da man dennoch bisher Schwerverbrechern nicht das „Handwerk legen“ konnte, findet man so zugleich einen Sündenbock für den zuvor erzeugten Sicherheitsdruck: die SPD. Deren Führung hat angesichts des Wahlkampfdruckes von 1994 über die von ihr regierten Länder das im Juli verabschiedete „Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität“ (OrgKG) eingebracht und mit durchgesetzt. Auch plädieren einige SPDler für den „großen Lauschangriff“ auf die Wohnung (unangetastet bleibt der Intimbereich des Kapitals, das Bankgeheimnis).

Gegen das Spiel mit Sicherheitserwartungen der Bevölkerung kommt nur an, wer das Agitationsmuster entlarvt, nicht aber wer Zugeständnisse macht. Diejenigen, die mit dem Topos „Innere Sicherheit“ spielen, weil sich dies im Wahlkampf auszahlt, werden scheibchenweise immer neue Einschränkungen grundlegender Freiheitsrechte fordern — am Ende die Einführung von Todesstrafe oder Folter. Deshalb siegt Zacherts Kategorie der „Erforderlichkeit“ über die grundlegenden Prinzipien unserer Verfassung. Das Spannungsverhältnis von Sicherheit und Freiheit wird damit preisgegeben. Denn ohne den gegen Ausforschung geschützten Intimbereich der Wohnung können prinzipiell wir alle zum Objekt einer im geheimen operierenden Exekutivmacht werden. Ein Lauschangriff (auch wenn versucht wird, diesen durch eine Verfassungsänderung abzusichern) verletzt den Kernbereich des materiellen Rechtsstaates, die Menschenwürde und tangiert die Voraussetzungen von Demokratie. Jürgen Seifert

Der Autor war lange Zeit Bundesvorsitzender der Humanistischen Union; er arbeitet als Verfassungsrechtler und Politologe an der Universität Hannover.