Wahlfieber bei Libanons Schiiten

Dritte Runde der Parlamentswahlen mit hoher Beteiligung/ Bevölkerung in dem von Israel besetzten Gebiet am Urnengang gehindert/ Schiitischer Amal-Chef Berri hat die besten Chancen  ■ Aus Saida Khalil Abied

Bei der letzten und entscheidenden Runde der libanesischen Parlamentswahlen am Sonntag war die Bevölkerung des Südlibanon und der von Israel besetzten sogenannten „Sicherheitszone“ an die Urnen gerufen. Zwar hatten die Christen wieder zu Wahlboykott und Streik aufgerufen, doch in den überwiegend von Moslems bewohnten südlichen Gebieten war ein regelrechtes Wahlfieber zu beobachten.

In den Städten Saida, Nabatyeh und Tyr drängten sich bereits am frühen Morgen die WählerInnen vor den Abstimmungslokalen. Anders als bei den beiden vorherigen Wahlrunden in den nördlicheren Regionen und der libanesischen Hauptstadt Beirut lag die Wahlbeteiligung nach offiziellen Angaben bei rund 70 Prozent, in einigen Wahllokalen waren es sogar 90 Prozent.

Ganz unterschiedlich war die Bereitschaft der christlichen WählerInnen, dem Boykottaufruf Folge zu leisten. Gingen im Maroniten-Viertel von Tyr nur etwa fünf Prozent zur Wahl, waren es im christlichen Viertel von Saida immerhin zwischen 30 und 40 Prozent.

Im von Israel besetzten Teil des Südlibanon jedoch lief nichts. Der Führer der pro-israelischen „Südlibanesischen Armee“ (SLA), Antoine Lahad, hatte die Wahlen in dem sogenannten „Sicherheitsgürtel“ verboten und der Bevölkerung mit Vertreibung gedroht, sollte sie dennoch wählen wollen. Nachdem die libanesische Regierung sich geweigert hatte, die Wahlurnen in dem von Lahad kontrollierten Gebiet aufzustellen — dies hätte eine faktische Anerkennung seiner Autorität bedeutet —, sperrte die SLA kurzerhand die Verbindungsstraßen zu den Wahllokalen. So konnten die dort lebenden 130.000 Wahlberechtigten, etwa ein Viertel der südlibanesischen WählerInnen, von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch machen.

Zwar ist das offizielle Endergebnis der Wahlen noch nicht verkündet worden. Klar aber ist, daß diese letzte Runde in doppelter Hinsicht für die Politik im Libanon entscheidend war. Angesichts der Tatsache, daß fast die Hälfte aller libanesischen Schiiten in der Südprovinz leben (dort machen sie 75 Prozent der Bevölkerung aus), stellte sich mit dieser Wahl auch heraus, wer ihre Führung übernimmt. Und zweitens bestimmen die Ergebnisse vom Sonntag auch die zukünftige Zusammensetzung des Parlaments.

Vor den Wahlen war ein neues Wahlgesetz in Kraft getreten. Während in früheren Zeiten jede religiöse Gruppe über einen von sechs Wahlbezirken „verfügte“ oder dort die Mehrheit stellte, wurde nun der gesamte Südlibanon als ein einziger Wahlkreis behandelt. Jetzt waren die KandidatInnen also darauf angewiesen, Stimmen aus der ganzen Region und von allen religiösen Gruppen zu erhalten. Da die Schiiten die größte Gruppe stellten, konnte sich glücklich preisen, wer einen Platz auf der Wahlliste eines führenden schiitischen Politikers ergatterte. So waren vor allem die Sunniten der Stadt Saida mit dem neuen Wahlgesetz unzufrieden.

Vor allem zwei Listen konkurrierten bei dieser Wahl. Die erste ist die „Befreiungsliste“, die von Nabih Berri, dem Chef der prosyrischen schiitischen Amal-Bewegung, geführt wird. Berri, dessen Liste ein breites Spektrum politischer Gruppierungen zusammenfaßte, hatte insbesondere ein Bündnis mit der ebenfalls schiitischen „Partei Gottes“ (Hizballah) geschlossen, obwohl er in der ersten Wahlrunde in der Bekaa-Ebene noch deren Gegner unterstützte. Die zweite Liste trat unter dem Namen „Volkswillen“ unter der Leitung des schiitischen Politikers Kamel Al Assad an. Der ehemalige Parlamentssprecher stammt aus einer Großgrundbesitzer-Familie, die das politische Leben der Region jahrhundertelang bestimmte. Ihre gemeinsame „Feindschaft“ zu Al Assad und Israel ließ Berri und Hizballah jetzt gemeinsam auftreten, um eine Spaltung und Schwächung der Schiiten zu verhindern.

Auch Parteien wie die prosyrischen Baathisten oder die Nationale Bewegung haben einen Platz auf Berris Liste gefunden. Mit diesem Schritt konnte der Amal-Führer zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Er versicherte sich der Billigung Syriens ebenso wie der Stimmen anderer Parteien. Und um die Stimmen der Sunniten zu gewinnen, hat Berri eine Frau, Bahia Al Hariri, aufgestellt. Sie ist die Schwester des Milliardärs Rafik Al Hariri, der als Vertreter der saudischen Politik und Interessen im Libanon gilt, eng mit König Fahd befreundet ist und umfangreiche Wiederaufbauprogramme im Südlibanon eingeleitet hat.

Al Assad, der sich eine Zeitlang aus der Politik zurückgezogen hatte, hatte sich während des Bürgerkriegs der christlichen Seite angenähert und sich nicht durch Widerstand gegen die israelische Besatzung hervorgetan. Es wird jedoch damit gerechnet, daß Al Assad um der politischen Kosmetik willen zwei bis drei Sitze erhalten wird — wenn die Regierung in Damaskus sich für ein Wahlergebnis „entschieden“ hat. Denn die syrische Regierung will verhindern, daß Al Assad gemeinsam mit der christlichen Opposition die Wahlen anficht, meinen erfahrene Beobachter.