„Willst du wieder malen?“ — „Jaaaa!“

■ Fiete Rieländer, 13 Jahre alt und spastisch gelähmt, hat ein Ausdrucksmittel entdeckt: das Malen

Es könnten Menschen sein, die sich vor einer Höhle gesammelt haben, in die sie nicht einzutreten wagen. Oder eine sanfte Landschaftskomposition in blau, grau und orange, anziehend und zum Hineintauchen. Fiete Rieländers Ölbilder haben schon eine kleine Liebhabergemeinde gewonnen.

Vor drei Monaten wurden seine abstrakten Farbkompositionen der Öffentlickeit vorgestellt. Presse, Radio und Fernsehen waren dabei, denn Fiete ist eine Sensation: er ist erst dreizehn Jahre alt und — seit seiner Geburt spastisch gelähmt. Nach dem Ausstellungsrummel sagte Fiete „Krrrks!“. Das bedeutet: Schluß, aufhören, ich will nicht mehr!

Fiete kann nicht richtig sprechen. Er sitzt in gekrümmter Haltung in seinem Rollstuhl. Seine Außerungen — ein sehr sympathisches und ansteckendes Lachen, Gegrummel und unkoordinierte Bewegungen — sind die eines kleinen Kindes, das seinen Körper noch nicht beherrscht. Selbst Fietes Eltern müssen oft lange herumrätseln und ihn immer wieder rückfragen, um richtig zu verstehen, was er ihnen sagen will.

Fiete aber hat, mit Hilfe seines Vaters Wolfgang, der Kunstlehrer ist und selber malt, die Malerei entdeckt. Schon in der Schule für körperbehinderte Kinder probierte Fiete Bunt- und Filzstiften aus, aber: „Das war nichts“, sagt Wolfgang Rieländer, „solche graphischen Mittel fordern zuviel Überlegung und Planung. Als Fiete mir mal wieder beim Malen zuschaute, hab ich ihm einfach den Pinsel in die Hand gedrückt. Die Leinwand stand auf der Staffelei, das war ganz wichtig, wegen des Überblicks.“ Und Fiete malte. Erst noch zögerlich und immer wieder den Vater mit Blicken fragend, ob er noch weitermachen solle. Dann fließend, mit wechselnden Farben, mal mit dem Pinsel, mal mit der Rolle, schöne, lebendige und ausdrucksvolle Schwünge.

„Ich hab nichts in ihn reingepaukt“, sagt der Vater, „niemals würde ich ihm abverlangen, daß er malt. Das alles ist ganz lustbetont. Fiete hat schon immer alles gerne angesehen, was in Bewegung ist, die Kräne auf der Baustelle, das Schalten beim Autofahren. Jetzt bringt er selbst die Farben in Bewegung.“

Wenn Fiete malt — von seinem Rollstuhl aus und angetan mit einer blauen Plastikfolie, der Farbspritzer wegen — dann beobachtet er genau seine eigenen Bewegungen, er folgt mit dem Blicken dem Pinsel, wie er in die Farbe taucht und seine Spuren auf der Leinwand hinterläßt. „Automatisches Malen“, lacht Wolfgang Rieländer, und Fiete lacht auch.

Wenn es darum geht, den künstlerischen Status seiner Malerei zu bestimmen, haben Fietes Eltern ein durchaus nüchternes Verhältnis zu den Bildern ihres Sohnes. „Für uns“, sagt die Mutter Karin Burkhart, „hat sich durch Fiete herausgestellt, daß jeder malen kann. Gerade für Behinderte, die keine Worte haben, ist das ein ganz wichtiges Ausdrucksmittel.“

Die Ausstellung und damit die unvermutete Aufmerksamkeit, die Fiete plötzlich auf sich gerichtet sah, waren eine große Anstrengung für den Jungen. Die Eltern aber bereuen die Öffentlichkeit nicht. Sie wollen, daß Fietes Kunst ansteckend wirkt, nicht nur auf andere behinderte Kinder, sondern auch auf potentielle Geldgeber für Farben und anderes Material in Schulen und Horten.

Fiete selbst hatte erstmal eine Schaffenspause eingelegt. Bis er neulich mit seinem Vater in der Klaus-Fußmann-Ausstellung in der Kunsthalle war. Dessen offene, großflächige und bunte Bilder faszinierten Fiete, der sie lange und genau betrachtete, ganz nah heranrollte und wieder weit zurückfuhr. „Na — „, hatte der Vater ihn später gefragt, „willst du wieder malen?“ — „Jaaaaa!“ Cornelia Kurth