KOMMENTAR
: Deutsche raus aus Europa!

■ Zumindest zeitweise. Denn mehr als ein Nein zu Maastricht stürzt die Bundesbank Europa in die Krise.

In einem spektakulären Beitrag für die italienische Zeitschrift „L'Espresso“ hat der Chef des Olivetti-Konzerns, Carlo De Benedetti, die bisher meist nur hinter vorgehaltener Hand artikulierten Vorwürfe der internationalen Wirtschaft gegen Bonn formuliert. Wenn die deutsche Bundesbank auf ihrer selbstmörderischen Politik besteht, so De Benedetti, dann müßten sich die anderen elf Länder der EG dem widersetzen — und dann müßten halt die Deutschen zeitweilig aus dem Europäischen Währungssystem ausscheiden. Die europäische Einigung dürfte jedenfalls nicht der einseitigen Geldpolitik eines einzigen Landes geopfert werden. Die Eurotaz dokumentiert die wichtigsten Passagen:

Alle — die Banca d'Italia, Wirtschaftswissenschaftler, Regierungsmitglieder, Unternehmer (und ich mit ihnen) — versichern seit jeher, ganz besonders aber in diesen Tagen, daß die einzige Rettung Italiens Europa heißt. Nun wird Europa aber von Deutschland beherrscht, dessen monetäre Politik von den Entscheidungen der Bundesbank geleitet wird, die ihrerseits zu Recht von der Angst vor der Inflation und neuerdings vor den Kosten der Wiedervereinigung besessen ist. Und so müssen wir nun notwendigerweise nicht nur in Italien, sondern in ganz Europa die Fesseln der Geldpolitik der Bundesbank und speziell die von ihr auferlegten überaus hohen Zinsen akzeptieren.

Na gut: auch wenn es kein erhebender Gedanke ist, den Weg zu der in Maastricht verhandelten Währungsunion in Frage zu stellen, so müssen wir uns doch darüber klarwerden, was dieser Wahn der Bundesbank nicht nur Italien, sondern auch alle anderen Länder der EG und die industrialisierte Welt im allgemeinen kostet.

Ich halte diese Zinspolitik für einen Selbstmord Deutschlands selbst, da sie faktisch zu einem Prozeß der Stagnation und der Deindustrialisierung auch im eigenen Land führt (alleine im Juni sank dort die industrielle Produktion um sechs Prozent).

Mehr noch als das dänische Nein zu Maastricht oder die Unsicherheit über das französische Referendum (obwohl beide die enorme politische Zerbrechlichkeit des Vertrages, seine potentiell bereits geschehene Ablehnung enthüllen), ist es die deutsche Geldwertpolitik, die den Prozeß der europäischen Einigung in die Krise stürzt. Diese Politik exportiert Rezession in die europäische Wirtschaft: das zeigen die Daten aus Frankreich, Spanien, Großbritannien. Und sie zieht die Schlinge um den Hals der schwächeren Staaten noch mehr zusammen — wozu natürlich auch Italien zählt, das aus eigener Schuld durch die sinnlose politische Führung der letzten zwanzig Jahre zusätzlich strukturell geschwächt ist.

Das Doppelproblem — weltweite Deflation und die deutsche Geldpolitik infolge der Wiedervereinigung — bringt jenseits der täglichen Zusammenstöße der Zentralbanken ein nicht mehr aufschiebbares Dilemma an den Tag: entweder die Aufwertung der Mark — oder ihr zeitweiliges Ausscheiden aus der europäischen Währungsschlange mit freiem Umtausch auf den Märkten.

Auf diese Weise würde sich die Mark auf dem Niveau einpendeln, das ihr zusteht — auch in Relation zu den Zinsen, die Deutschland beizubehalten müssen glaubt, um seine internen Probleme zu lösen, jedoch nicht mehr mit der Ausrede, man müsse den anderen Europäern den Weg nach Maastricht zeigen, den Deutschland vielleicht selbst gar nicht einschlagen will.

Danach könnte die Mark wieder in die Währungsschlange eintreten und man begänne erneut den Marsch zur europäischen Einheit — eine Einheit, von der wir dann hoffentlich alle verstanden haben, daß sie nicht nur monetär sein darf, sondern auch eine wirtschaftliche, soziale und politische Einheit sein muß.

Gehen wir statt dessen mit den offensichtlichen Divergenzen — der herrschenden Deflation und den daraus folgenden sozialen Spannungen — weiter so um wie bisher, wird Europa sich auflösen. Doch wir müssen Europa retten, weil es für die einzelnen Staaten ebenso wie für Italien keine Alternative gibt. Wir müssen das „mögliche Europa“ schaffen und es nicht faktisch mit Verhaltensweisen unterminieren, die den durch die deutsche Wiedervereinigung und die weltweite wirtschaftliche Lage geschaffenen substantiellen Veränderungen nicht Rechnung tragen.

Die alte Inflationsangst der Deutschen, geweckt von der Wiedervereinigung, hat keine Berechtigung, insbesondere nicht nach dem Abschluß der wichtigsten Tarifverträge. Der Lohndruck wird sich noch weiter abschwächen angesichts der — von Siemens bis Daimler, von Mannesmann bis zur Lufthansa — angekündigten Reduzierung des Personalbestands in der Industrie und im Diensleistungssektor. Die letzte Zinserhöhung der Bundesbank erfolgte kurz nach der Bekanntgabe der monatlichen Inflationsrate — und die war gerade von 4,3 auf 3,3 Prozent gesunken.

Auch der zweite Sorgenfaktor, der Deutschland zur Zinserhöhung veranlaßt, die Kosten der Wiedervereinigung, ist dafür kein Grund. Warum muß man dieses Problem mit Hilfe der Geldpolitik angehen, die auswärtige Effekte zeitigt, und nicht mit dem angemesseneren Mittel der Steuererhöhung, die sich lediglich im Inneren der deutschen Wirtschaft auswirkt?

Ich denke, man muß zum Wohle der europäischen Zukunft sehr realistisch sein: wenn Deutschland seine mit den Entscheidungen der anderen Länder inkompatible Politik fortführen will, mag es das tun — doch es dränge sie nicht den anderen auf.

Derzeit ist eine massive Neubewertung zwischen Dollar und Yen im Gange: die USA und Japan bewegen Zinsen und Währung frei, um ihre jeweilige Wirtschaft voranzubringen. Warum sollten die europäischen Staaten die Gelegenheit der internationalen Wettbewerbs-Neustrukturierung verstreichen lassen und sich auf dem Altar verschwommener Ziele und im Namen einer einseitigen Geldwertpolitik eines einzigen Landes opfern? Carlo De Benedetti

Der Aufsatz erschien in der L'Espresso-Ausgabe vom 6. September.