INTERVIEW
: „Unsere Zukunft liegt nur noch im Mittelmeerraum“

■ Für die Armenhäuser Europas war es falsch, nur nach Norden zu schauen, meint Corrado Carducci vom Bauernverband aus Süditalien

Corrado Carducci ist Provinzsekretär des Bauernverbandes Coldiretti in Kalabrien.

taz: Ihr habt jüngst mitgeteilt, daß ihr künftig nicht mehr nach Brüssel, sondern lieber nach Tunis oder Kairo fahren wollt, um eure landwirtschaftlichen Produkte zu vertreiben, und daß ihr das auch von anderen Anbietern erhofft. Seht ihr euch noch als Europäer?

Carducci: Kommt drauf an, was man unter Europa versteht. Das war ja einst auch nicht unbedingt Frankreich oder Deutschland, sondern eher der Mittelmeerraum. Wahrscheinlich war es für uns — Bauern wie Handwerker, Händler wie Seefahrer — einfach falsch, nach dem Krieg nur noch nach Norden zu gucken und den Süden als Armenhaus abzutun. Heute sind wir uns darüber klar, daß auch wir ein Armenhaus sind und uns die Leute im nordafrikanischen Maghreb näherstehen als die Bürger von Essen oder Hamburg. Wahrscheinlich liegt unsere Zukunft wirklich nur noch im Mittelmeerraum, der kontinentale Europa-Traum ist ausgeträumt.

Welche Konsequenzen zieht Ihr daraus?

Daß wir uns nun mal mehr als bisher darüber vertraut machen wollen, was die Leute südlich und östlich des Mittelmeers für Bedürfnisse haben, was wir ihnen und was sie uns anbieten können. Wir sehen Jahr für Jahr Millionen „Marocchini“, wie die afrikanischen Strandhändler und Wanderarbeiter heißen, in unser Land kommen und Waren verhökern — aber das sind meist unsere eigenen Produkte oder die aus Taiwan, nicht die ihren. Warum sollten die nicht legal und mit ihren eigenen Kuttern kommen und anbieten, was sie so auf Lager haben — und von uns mitnehmen, was wir ihnen liefern können, von hochqualitativen Nahrungsmitteln bis zu technologischen Gütern, mit denen sie auch etwas anfangen könne, weil sie noch nicht so uneinholbar weit vorangetrieben sind wie die in Deutschland oder Japan. Es würde unsere etwas hinterherhinkende Industrie ebenso fördern wie den Absatz EG-untauglicher Produkte, die wir sonst per Verordnung auf den Müll kippen müssen, weil sie zu klein sind, die falsche Farbe tragen oder sonst irgendwie nicht mit den Treibhausprodukten konkurrieren können.

Also eine mediterrane Freihandelszone statt der mittel- und nordeuropäischen?

Ob „statt“ weiß ich nicht — jedenfalls aber „auch“, neben der EG.

Da werden diejenigen, die derzeit das Sagen in Brüssel haben, aber nicht einverstanden sein.

Mag sein. Dann ist es an der Zeit, daß unsere Regierung, die ja auch sonst zu den besonders großsprecherischen gehört, mal den Mund aufmacht und sagt: Liebe Freunde aus der EG, ihr macht ja auch, was ihr wollt, nehmt Staaten wie Ungarn oder Polen auf, die durch eine analoge Wirtschaft besonders uns Italienern Nachteile bringen — also treffen wir mit unseren eigenen Nachbarn eben auch Abkommen, selbst wenn Ihr sie nicht mögt, weil ihr keinen Profit draus zieht.

Sonderwege sind aber laut EG-Vertrag nicht gestattet.

Auf dem Papier. Konkret aber treffen die Mitglieder ohne Rücksicht Sondervereinbarungen. Oder was ist die gemeinsame Kampftruppe der Franzosen und der Deutschen anderes? Auch wenn das zunächst nur militärisch bedeutsam erscheint, hat es doch Auswirkungen auch auf die Wirtschaft — etwa auf künftige Waffenproduktionen etc. Nein: wenn die Verträge es Italien verbieten, die eigenen Interessen gemeinsam mit den anderen armen Nachbarn wahrzunehmen, sollten wir ernsthaft nachdenken, ob wir nicht eine Änderung der Verträge fordern — oder aus diesem für uns unnützen Verein austreten. Interview: Werner Raith