Der funktionalisierte Mensch

Die Scientology-Sekte als Konzern: Das Buch über die Praktiken und Machenschaften von Scientology war fällig  ■ Von Jutta Rosbach

Aam Anfang war das Unbehagen: Norbert Potthoff war unzufrieden in seiner Ehe und in seinem Beruf, Angelika Rieger suchte Hilfe wegen ihres labilen Selbstwertgefühls, und der Schweizer Reto T. traute sich nicht so recht, Frauen anzusprechen. Alle drei wurden Mitglieder bei der Scientology- Sekte, die die totale Befreiung des Individuums und weltliche Erfolge verheißt. Sektenaussteiger berichten, was sie statt Befreiung und Selbstverwirklichung im Beruf kennenlernten: autoritäre Führungsstrukturen, gegenseitige Bespitzelung, seelische Erpressung und wirtschaftlicher Ruin.

Für Scientology-Kenner birgt das Buch, herausgegeben von Jörg Herrmann, nicht viel Neues, aber es liefert eine fällige Zusammenfassung dessen, was über diesen als Kirche getarnten Konzern bekannt ist, und es setzt interessante Akzente. Leider bleibt vieles unverbunden nebeneinander stehen, was bei einem sorgfältigen Lektorat hätte vermieden werden können. Beispiel: Der Sekte wird immer wieder vorgeworfen, daß sie bei ihren Anhängern seelische Abhängigkeit erzeugt. In der Geschichte des RetoT. wird dies zugespitzt: Er konnte sich nur durch Selbstmord von Scientology lösen. An anderer Stelle des Buches erklärt der Psychiater Norbert Nedopil, daß für derlei Krisen eine entsprechende psychische Disposition vorhanden sein muß — vor dem Sekteneintritt. Bei labilen Menschen aber können die typischen Scientology-Techniken wie das stundenlange Sich-in- die-Augen-Starren schwere Störungen verursachen. Diese Aufsätze aufeinander zu beziehen, bleibt der Neugier des Lesers vorbehalten.

„Nachdem ich zwei Jahre lang versucht habe, mein Gleichgewicht im bürgerlichen Leben zu finden, ist es mir absolut unmöglich, meine eigenen Fähigkeiten auch nur annähernd wieder herzustellen. Ich kann mir die langen Perioden von Morbidität und Selbstmordgedanken, unter denen ich leide, weder erklären noch mich davon befreien...“ Dieses Zeugnis seelischer Not stammt aus der Feder von L. Ron Hubbard, kurz bevor er sich mit der Hubbard Dianetic Foundation seine eigene Methode der Seelenheilung zusammenkleisterte. Volker Albers entwirrt Scientology als ein Konglomerat aus Philosophie, Psychologie und Versatzstücken aus dem Geheimkult „Ordo- Templis-Orientis“, kurz „O.T.O.“. In dieser obskuren Geheimgesellschaft wurden Magie, Dämonenglaube und die Gottwerdung des neuen Menschen gepredigt, was den labilen Hubbard sehr beeinflußte. Aus diesem Mischmasch entstand eine Philosophie, in der das Ideal des menschlichen Geistes — sein sogenannter Thetan — mit einem leeren Computerschirm verglichen wird. Frei ist der Mensch, wenn er losgelöst ist von allem Irdischen, von seiner Körperlichkeit, von Emotionen, familiären Erfahrungen: „ein Nichts“, sagt Autor Werner Thiede, „mit göttlichen Fähigkeiten“. In ihrer Verstiegenheit klingt die Hubbard-Lehre zunächst spinnert, aber harmlos. Die gezielte Unterwanderung von Öffentlichkeit, Staat und Wirtschaftsunternehmen macht aus dem Einfluß der Sekte jedoch mehr: ein, wie Herausgeber Jörg Herrmann schreibt, „ernstzunehmender Angriff auf die demokratische Kultur“. Dies belegt unter anderem der Beitrag von Katharina Gralla („Scientology in Amerika“). So wurden in den siebziger Jahren gezielt Scientologen in die Washingtoner Büros des US-Finanzamtes und des Justizministeriums eingeschleust, um dort negative Daten über die Sekte zu vernichten. Als FBI-Agenten davon Wind bekamen und drei Scientology-Büros stürmten, wurden sie fündig: auf 48.000 Seiten Papier waren mehr als 130 Aktionen von Scientology gegen Behörden und Einzelpersonen dokumentiert. „Das Verbrechen dieser Angeklagten“, urteilten die Staatsanwälte, „ist in seiner Bandbreite und Reichweite ohne Vorbild.“

Bei all diesen Hintergrundinformationen ist es schade, daß der Herausgeber nicht schon im Vorwort die Machtergreifungspläne der Hubbardisten erwähnt hat, die im Programm „Clear Deutschland“ klar formuliert sind. Im Anhang wirken diese grundlegenden Infos, die die Gefährlichkeit von Scientology verdeutlichen, leider etwas fehlplaziert — sie gehen leicht unter.

Ebenso fehlen auch die detaillierten Diagramme aus Scientology-internen Unterlagen, auf denen der Sektenplan der Machtübernahme skizziert ist, und die den einschlägig informierten Journalisten zugänglich sind. Sehr anschaulich aber beschreiben Burkhard Schröder und Karl Herrmann, wie wirtschaftliche Unternehmen durch Scientology unterwandert werden können. Dabei verfahren die Sektenmanager nach ebenso klaren wie schlichten Anweisungen, die sich in Unterlagen der „Kirche“ finden:

—Suche Dir ein Geschäft aus, das gut arbeitet.

—Wende Dich an den höchsten Direktor. Biete ihm an, dafür zu sorgen, daß sein Geschäft mehr Geld einbringt.

—Lokalisiere SP's (gemeint sind „suppressive persons“ — der Sektenjargon für Kritiker) und wirf sie hinaus.

„Scientology“, erklärt Karl Herrmann, „verspricht Erleuchtung per Knopfdruck.“ Bloß, sie funktioniert nicht. Viele Unternehmen, die nach den Hubbardschen Regeln arbeiten, machen über kurz oder lang Konkurs, vernichtet durch Profitgier und Mißmanagement. Was dem Buch fehlt, ist eine Begründung, warum Scientology mit dem Idealbild des „funktionalisierten Menschen“ (Ralf-Dieter Mucha) so anziehend wirkt, warum sie sich als eine so passende Ideologie für die Computer- Gesellschaft anbietet. Die ohnehin anerkannten Maximen wie zum Beispiel Selbstverwirklichung scheinbar freier Individuen, schön, reich und berühmt werden zu können, wenn sie sich nur tüchtig anstrengen, sowie Profitstreben als Grundmuster der Wirtschaft wird nur auf die Spitze getrieben. Scientology ist daher nicht einfach eine Zusammenrottung der „Bösen“, oder ein „sozialer Störfall“ (Ulrich Müller), sondern die Aushöhlung des Kapitalismus mit seinen eigenen Mitteln.

Jörg Herrmann (Hrsg.): „Mission mit allen Mitteln — Der Scientology-Konzern auf Seelenfang“. rororo Sachbuch 9341, 14,80 DM.