■ SHORT STORIES FROM AMERICA
: Woody Allens erster PR-Flop

In all den Jahren, seit ich für deutsche Zeitungen schreibe, bin ich von Kollegen niemals beleidigt worden — manchmal nur hat man mich sanft gerügt ob meiner amerikanischen Naivität: bis ich einen Anruf von einem lieben Freund erhielt, zum Fall Woody Allen. Ob ich nicht entsetzt sei, wollte er wissen. Ein Intellektueller, der Held der Intellektuellen, mit dem wir uns identifiziert hatten, war gestürzt — fühlte ich mich verraten?

Nun hört mir doch bitte mal gut zu: Amerika hat ja vielleicht einen Vizepräsidenten, der nicht weiß, wie man Kartoffel buchstabiert, und einen Präsidenten, dem es einerlei ist, ob Amerikas Wirtschaft konstruktiv oder konstriktiv wächst — aber niemand hält Woody Allen für einen Intellektuellen. Es identifiziert sich auch niemand mit ihm. Jedenfalls nicht so, wie sich die amerikanischen Männer mit John Wayne oder die Frauen mit Thelma und Louise identifizieren. Woody Allen ist ein lustiger Mann, der in seinen besten Momenten die Seufzer auf Psychiatercouches zu Filmen macht, die uns zum Lachen bringen, wenn wir uns daran erinnern, daß wir für so etwas hundert Dollar die Stunde zahlen. Wenn er nicht ganz so gut drauf ist (in „Interiors“ zum Beispiel oder „A Midsummer Nights Sex Comedy“, „Stardust Memories“, „Eine andere Frau“), dann trifft er daneben, wie jeder andere auch, und in diesem Monat ist ihm das gründlich gelungen. Er war noch nicht einmal so gut wie Fergie, die ihn für ein oder zwei Tage von den Titelseiten und aus dem Bewußtsein der Öffentlichkeit vertrieb. Ich glaube, das ist Woodys erster PR-Flop.

Die Presse, von den täglichen Skandalblättchen bis zu Time und Village Voice, hat nun wirklich ihr Bestes getan, uns die Story in die Köpfe zu rammen. Beim republikanischen Parteitag konnte man sogar für einen Moment den Eindruck gewinnen, Woody könne tatsächlich vom Thema für Fahrstuhlgeplauder zum Vertreter jener „kulturellen Elite“ aufsteigen, die den beiden Pats (Buchanan und Robertson) solche Sorgen bereitet. Ich denke an das Gerücht, Allen sei Clintons Berater für „familiäre Werte“. Aber es ist eben doch nicht passiert. Ich habe mit denen gesprochen, die Bescheid wissen, und denen, die keine Ahnung haben; ich habe versucht, die Gerüchteküche in Gang zu bringen. Aber nach allen Platitüden über die armen Kinder bleiben mir nur Luftblasen. Es läuft darauf hinaus: Woody und Mia sind zu reich, als daß man Sympathie für sie haben könnte, und doch nicht reich genug oder Mitglieder eines Königshauses, weshalb sie auch der Phantasie keinen Anhaltspunkt bieten. Es fällt den Leuten schwer, sich über die Nöte von Menschen aufzuregen, die sich elf Kinder leisten können.

Die Empfangsdame in dem Gebäude, in dem ich arbeite, sagte: „Also ich weiß nicht, elf Kinder. Ich habe selbst drei, und jetzt, wo wir hier auch noch die Krankenversicherung selbst zahlen müssen, in dieser Firma gibt es keine Krankenversicherung mehr...“ Da waren wir wieder bei der Ökonomie. „Aber“, fragte ich und versuchte, den Allen-Tonfall zu treffen, „reden die Leute, die hier rein- und rausgehen, nicht viel darüber?“ „Nee“, sagte sie, „die reden über das Essen in der Kantine.“

Mein Friseur (der in dieselbe Sporthalle geht wie ich) versicherte mir, er wüßte ja gern, was da wirklich gelaufen sei, und das Leben sei kompliziert, und die Leute lögen viel, wenn es um Publicity geht, und ob ich schon wüßte, daß Ken seinen Roman fertig hat und jetzt in eine andere Sporthalle geht? Der Zusammenhang zwischen Roman und Sporthalle wurde mir nicht so ganz klar, aber ich versuchte, wieder auf Woody zurückzukommen. „Ronny, du redest doch den ganzen Tag mit Leuten. Spricht denn niemand über Woody Allen?“ Nicht durch das Shampoo.

Die Taxifahrer waren eine noch größere Enttäuschung: Schulterzucken über Allen und viel über Andrew, den Hurrikan. „Eine große Schweinerei“, hörte ich in jedem Taxi. „Da sparen die Leute ihr ganzes Leben, kaufen sich ein Haus, und dann ist es weg. Über Nacht.“ Für mich sind das die Leute, die Bescheid wissen; sie hören die Gespräche der Stadt. Diejenigen, die keine Ahnung haben — Akademiker, Geistliche, Maler zum Beispiel — zuckten noch beredter die Schultern. Und wechselten das Thema.

Ich habe selten eine größere Lücke zwischen Pressegetöse und allgemeinem Desinteresse erlebt. Wenn jemand glaubt, Verkaufsziffern seien gut für die Nachrichten, dann täuscht er sich. Sie waren gut für Zeitungen, und das ist etwas anderes. Wir hatten August, und das Land war im Urlaub. In der Woche zwischen der heißen Luft der Republikaner und Hurrikan Andrew sorgte Woody für bessere Schlagzeilen als gähnende Amerikaner auf ihrem Rasen.

Aber Woody hat die Nachrichten nicht beherrscht. Trotz der Ablenkung, die er bot, setzte sich die Presse vor allem mit den Hoffnung auf eine Erholung der Wirtschaft auseinander, als Bush seine „Steuersenkung für Körperschaften“ verkündete. Bushs ökonomischer Berater Michael Boskin sagte, die Senkungen würden die Wirtschaft um höchstens 0,2 Prozent anheizen, und Artikel unter dem Titel „Hilfe für die Reichen, nicht für die Wirtschaft“ haben darauf hingewiesen, daß Steuererleichterungen auf vergangene Investitionen weder zukünftige Investitionen noch das ökonomische Wachstum fördern. Es fließen Dollars in die Taschen von Bushs Freunden. Der abgewertete Dollar war den Nachrichten auch nicht fremd, ebenso wenig wie die Angst vor steigenden Preisen bei Importen, Ausländern, die Investitionen auf Dollarbasis abstoßen oder das Defizit von vier Billionen Dollar. Bushs Außenpolitik, seine starke Seite, gerät ebenfalls in Verruf. Er mißverstand die Situation in Irak und Jugoslawien und ließ sie zum Krieg eskalieren, und sein jetziges Getöse über die „Überwachung“ des Irak wirkt wie Kosmetik an einem Leichnam.

Aber wenn man den Republikanern glauben darf, sind an all dem die Homosexuellen und die Frauen schuld: wenn sie arbeiten; wenn sie Abtreibungen hatten; wenn sie keine Abtreibungen hatten und daher uneheliche Mütter wurden; wenn sie, weil sie keine Abtreibungen hatten und auch nicht arbeiten, öffentliche Hilfe brauchen. Solche Leute, sagt Pat (Robertson), bilden eine „sozialistische, familienfeindliche politische Bewegung, die Frauen Mut macht, ihre Männer zu verlassen, ihre Kinder umzubringen, Hexerei zu betreiben, den Kapitalismus zu zerstören und Lesbierinnen zu werden“. Gegen solche Menschen, sagt Pat (Buchanan) muß Amerika einen „religiösen Krieg“ führen. Kurz, die Republikaner setzen auch weiterhin darauf, daß ein gebeuteltes und frustriertes Amerika eine Theokratie ins Amt wählen wird. Aber wenn wir schon von Gottes Taten sprechen, dann ist die Kritik an Bushs Lethargie gegenüber Hurrikan Andrew fast so laut wie der Sturm selbst. Nein, Woody hat die Nachrichten nicht beherrscht.

Immerhin hat er sich Mühe gegeben. Er und Mia haben die Zeitungsumsätze im Sommerloch in die Höhe getrieben und einer dahinsiechenden Industrie etwas über die Runden geholfen. „Husbands and Wives“, Allens neuer Film, wird dank dem Skandal über achthundert Leinwände im ganzen Land flimmern, und das hilft den Kopierwerken, den Kinos und einer ganzen Zulieferindustrie wie den Druckern von Eintrittskarten und den Reinigungsdiensten für Kinoteppiche. Wirtschaftlich gesehen, gemessen an Reagan-Bush-Standards, ist das eine solide Leistung, und Sexualskandale sind auch dem Weißen Haus niemals fremd gewesen. Damit will ich allerdings nicht andeuten, Woody Allen solle für die Präsidentschaft kandidieren. Aber bei Bush bin ich ja auch nicht dieser Meinung.

Aus dem Amerikanischen von Meino Büning

WOODYALLENSERSTERPR-FLOP