: Die historischen 80er Jahre
Zur Münchner Ausstellung „Malen ist Wahlen“ mit Arbeiten von Werner Büttner, Martin Kippenberger und Albert Oehlen ■ Von Jochen Becker
Wenn einer sagt: ,Aber das ist in der Ausstellung nicht abzulesen‘, dann weiß er wenigstens, wozu ein Katalog da sein kann.“ Helmut Draxler, seit kurzem Leiter des Münchner Kunstvereins, präsentiert nicht nur Produkte, sondern verbindet diese mit Theoriearbeit. Die jüngste Ausstellung „Malen ist Wahlen“ blickt zurück auf die Kollektivschau „Wahrheit ist Arbeit“, welche Draxlers Vorgänger Zdenek Felix 1984 — damals noch im Essener Folkwang Museum — initiiert hatte. Heute wie vor achteinhalb Jahren heißen die Ausgestellten Werner Büttner, Martin Kippenberger und Albert Oehlen, doch hat sich seither nicht nur in ihrer Beziehung zueinander Entscheidendes gewandelt. Für diese Differenz interessiert sich Draxler. Deshalb wird nicht das einzelne Exponat, sondern die Ausstellung als Ganzes zum Objekt seiner Untersuchung. Es scheint sogar, er hätte auf die aktuell ausgestellten Arbeiten ganz verzichtet, wären an ihnen nicht der historische Wandel von Kollektivarbeit, Opposition und Anti-Liberalismus ablesbar: „Eine Ausstellung Büttner-Kippenberger- Oehlen kann aus den genannten Gründen und internen Differenzen nur mehr als historische Referenz an frühere Gemeinsamkeiten verstanden werden.“
„Die extrem anti-feministischen, anti-schwulen, anti-antifaschistischen etc. Aspekte ihrer Aussagen wirken vor dem Hintergrund eines grassierenden Rechtsradikalismus nicht mehr unbedingt adäquat, auch wenn man das provokatorische Potential in bezug auf eine betuliche zivilisierende Kunstwelt anrechnet.“ Draxler spricht von einer zeitspezifischen „Sozialisationsform“ der drei Maler als Jugendgang oder „Bande“. Inzwischen ist ihr strategischer Faschismus jedoch vom Mainstream eingeholt und eignet sich somit nicht mehr für avantgardistische Provo-Effekte. Dem strategischen Faschismus war das Liebäugeln mit dem strategischen Linksutopismus vorangegangen. Der Bruch zwischen den Strategien manifestiert sich bei allen drei im Umzug aus der Ende der 70er Jahre sich konsolidierenden grün-alternativen Hochburg Berlin ins bürgerliche Hamburg.
Büttner, Kippenberger und Oehlen kollektivierten sich in der neuen Heimat zur Anti-K-Gruppe und suchten mit figurativer Malerei — damals noch ein ziemlich absurdes Medium — den nach dem Deutschen Herbst schon völlig desolaten Sozialstaat ganz rechts zu überholen. Doch schon bei der Folkwang-Ausstellung 1984 — so zeigt sich zumindest im Rückblick — hatten der Rechtsstaat (Abwahl des sozialliberalen „Modell Deutschland“) und der Kunstmarkt („Hunger nach Bildern“) die Strategie der „revolutionären Schnöseligkeit“ (Oehlen) eingeholt. Die beiden im Münchner Katalog abgedruckten Aufnahmen von der Essener Ausstellung zeugen vom Anerkanntseinwollen der Dreierbande. Im nüchternen Moderne-Bau wurden die wilden Bilder ordentlich aufgereiht und wohlproportioniert gehängt; einige Bündel Stroh liegen dekorativ wie im Designer-Schaufenster auf geweißtem Podest. Auch wenn diese muffige Atmosphäre uns lauthals „Alles Absicht!“ zuruft, ändert sich nichts an ihrer heutigen Verlebtheit.
Die reaktive Strategie von Büttner, Kippenberger und Oehlen überstand ihre eigene Historisierung nicht, weil sie nur für den Moment stimmen mag. Andererseits arbeiteten die drei nicht situativ — etwa nach dem Motto: „Schnell eingreifen, übermorgen passé“ —, sondern bauten systematisch ihren Platz im Kunstsystem (als Teilmenge der „Hetzler-Gruppe“, benannt nach ihrem Galeristen) aus. Die schwer vergänglichen Arbeiten — Öl auf Leinwand hat nun mal eine höhere Halbwertzeit als Papier, Video oder Aktion — hängen ihnen nunmehr nach. Vielleicht ist so auch Kippenbergers gewachsener Hang zum Erzählen leicht vergänglicher Witze zu erklären.
Draxler interessiert sich jedoch wenig für die schnelle Einholbarkeit der gewählten Strategien. Er wundert sich vielmehr über die fehlende Selbstreflexion der Gruppe. So verweist er im Falle Kippenbergers auf verschworene Cliquen aus Assistenten, Sammlern und Claqueuren, welche die alte Dreierbande zu ersetzen hat. Diedrich Diederichsen unternimmt dagegen in seinem Katalogbeitrag einen Rettungsversuch, welcher nebenbei die 80er Jahre Revue passieren läßt. Er rekonstruiert den „virtuellen linken Punkt“ des Kollektivs, von dem aus die „Gegnerschaft zum Kommunikationsoptimismus der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie“ formuliert und die repressive Toleranz attackiert wurde. Während Diederichsen den Nachgeborenen die gute Absicht der Dreierbande erklärt — „dort (im Museum) hängen heute die Bilder, aber niemand kennt mehr ihren Weg dahin und die Marschparolen, die sie begleiteten“ —, vernachlässigt er zugleich, daß gerade in dieser Nichtablesbarkeit der Widerspruch zwischen momentaner Korrektheit und karriereförderlicher Selbsthistorisierung steckt: Direktes Handeln und Dauerhaftigkeitsanspruch des Werks passen nicht zusammen.
Bei der Münchner Ausstellung führt Kippenberger allein — also ohne die Mithilfe von Büttner und Oehlen — Regie. Die Texte von Draxler und Diederichsen sollen die achteinhalb Jahre zwischen „Wahrheit ist Arbeit“ und „Malen ist Wahlen“ überbrücken. Wie schon bei Christian Phillip Müllers vorangegangener Ausstellung zur Nachkriegsmoderne dient auch die aktuelle Präsentation dem Studium der jüngsten Zeitgeschichte: „Generell, und mehr noch im Katalog ablesbar, ist an eine Art Historisierung einer unmittelbaren Vergangenheit gedacht.“ Denn nicht die Ausstellung, sondern eine verschlungene Lektüre der „eighties“ bildet den eigentlichen Grund des merkwürdigen, sagen wir mal „dekonstruktiven“ Unternehmens.
Bis 13.September.
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