Mit Haider die eigene Streitkultur beleben

■ Der FDP-Ortsverband hatte mit seiner Einladung bereits Anfang des Jahres einen parteiinternen Eklat herbeigeführt

Am Anfang schien die Sache ganz unkompliziert. Die Bad Cannstatter wollten Leben in die eingefahrene liberale Debatte bringen. Ein paar „kantige Leute, die ein bißchen angeeckt sind“, sollten dabei helfen. Auf der Einladungsliste standen so gegensätzliche Figuren wie der frühere Wirtschaftsminister Karl Schiller, der Jerusalemer Bürgermeister Teddy Kollek, Kirchendissident Eugen Drewermann und der FPÖ-Chef Jörg Haider. Über das ganze Jahr 1992 verteilt sollten die Prominenten bei „Cannstatter Veranstaltungen“ von der Bühne im Kursaal aus die schwäbische Streitkultur beleben.

Als erster antwortete Jörg Haider auf die Einladung aus dem Stuttgarter Vorort. Er könne kurzfristig anreisen, offerierte er im Februar. Den Bad Cannstattern war's recht. Sicherheitshalber holte sich Ortsverbandsvorsitzender Hans Manfred Roth aber noch das Plazet der Parteispitze: „Wir sind doch nicht so blauäugig gewesen, Haider einzuladen, ohne mit dem Bundesverband Rücksprache zu halten.“

Der Vorsitzende Graf Lambsdorff weilte gerade in den USA. An seiner statt wandten sich die vorsichtigen Schwaben an Solms, Fraktionschef der FDP im Bundestag. Der gab umstandslos grünes Licht. Am Telefon sagte er zu Roth: „Es bestehen keine Bedenken gegen so was.“ Kritisch äußerte sich der FDP-Spitzenpolitiker allerdings zu dem geplanten Veranstaltungstitel „Liberales Streitgespräch“. „Das sieht ja aus, als ob Liberale miteinander Krach haben“, monierte er. Für überflüssig hielt Solms auch, daß als Gegenpart zu Haider ein Journalist auf die Bühne gehen sollte.

Die Bad Cannstatter Liberalen nahmen die Bonner Auskünfte wörtlich. Für den 17. März setzten sie die Ein-Mann-Show des Österreichers auf ihren Veranstaltungskalender. Titel: „Liberale Perspektiven für Europa“. Kritikern beschied Roth listig: „Der Mann gehört schließlich zur Liberalen Internationale, und der Bundesvorstand trifft sich ja auch mit ihm. Warum sollen wir uns da nicht anhören, welche Gedanken er zu Europa hat?“

Zum parteiinternen Eklat kam es erst eine knappe Woche vor der Veranstaltung. Zu dem Zeitpunkt hatten bereits linke Gruppen eine Gegendemonstration angekündigt. Und die rechtsradikale „Deutsche Liga für Volk und Einheit“, die ebenfalls in den Landtag einziehen wollte, hatte der FDP angeboten, den Saalschutz zu übernehmen. Da wurde den Stuttgarter, baden-württembergischen und Bonner Liberalen plötzlich klar, daß der Haider-Auftritt so kurz vor den Wahlen am 5. April „inopportun“ war. Auch der Fraktionsvorsitzende Solms riet nun den Bad Cannstattern „dringend ab“. Doch die blieben hartnäckig. Fieberhaft suchten FDP-Landespolitiker daraufhin nach einem Trick, um den unbotmäßigen Ortsverband zur Parteiräson zu rufen. Schließlich fand sich ein Passus in der Satzung des Kreisverbandes, wonach Stadtverbände oder Ortsgruppen nur „regelmäßige Routinesitzungen“ abhalten dürfen.

Doch die Anwendung dieses Tricks war nicht mehr nötig. Denn am selben Tag schaltete sich der zwischenzeitlich aus den USA zurückgekehrte Graf Lambsdorff persönlich in den Konflikt ein. Am 12. März rief er Wien an und bat Jörg Haider, auf den Auftritt zu verzichten. Zum Ausgleich machte der FDP-Vorsitzende seinem österreichischen Kollegen ein unwiderstehliches Entschädigungsangebot: Nach dem Wahlkampf würden sie beide eine öffentliche Diskussion über liberale Politik führen. Dorothea Hahn