Ein Lehrstück kultureller Toleranz

„Die Deutschen lieben nun einmal ihre Ordnung und Sauberkeit“ war ein häufig gefallener Satz aus Politikermund in den Tagen nach Rostock. So sprach zum Beispiel der Bürgermeister aus Cottbus in den „Tagesthemen“ vom 31.8.92 mit Blick auf die ihn umringenden AsylbewerberInnen aus Rumänien und anderswo, um sie zur Unterwerfung unter diese nahezu sakrale Norm anzuhalten, und die Sozialminister von Nordrhein-Westfalen und Schleswig Holstein drohten in der Welt vom 2.9.92 gar mit Abschiebung für „anpassungsunfähige Gruppen“. Was wir anderen Kulturen vorenthalten, sollte doch wenigstens den Deutschen gewährt sein: die Akzeptanz ihrer primären kulturellen Vorstellungen: Sauberkeit, Ordnung und Hygiene. Die nämlich haben Sinti und Roma in Rostock mißachtet, weshalb es „verständlich“ ist, wenn dann der deutsche Bürger zu Pflastersteinen und Molotowcocktails Zuflucht sucht.

[...] Diese Erinnerung an eine Norm der kulturellen Gemeinschaft, der auch ich zugehörig bin, im Ohr, verlasse ich tags darauf mein Haus, um gleich in der Einfahrt in die erste, ach, so appetitliche Hundescheiße zu treten. Auf dem Weg zur U-Bahn, von der U-Bahn ins Büro, vom Büro zum Supermarkt, überall der gleiche Eiertanz um kleinere und größere Anhäufungen von Hundescheiße. Der Abendspaziergang im Park hat längst mein Sportprogramm im Fitneßstudio ersetzt, seit auch hier kaum noch ein Fleck zu finden ist, der „der Deutschen liebsten Norm“ entspricht. Nun ja, „der Deutsche“ liebt nun einmal auch Hunde, vor allem Schäferhunde, und die brauchen Auslauf und Bewegung. Seh' ich ja alles ein, setze mir meinen Nasenkneifer auf, ziehe Gummistiefel für den Gang durch die Hasenheide über und übe mich in kultureller Toleranz. Doch dann komme ich nach Hause — und mein Haus gehört zu den ordentlichen Häusern in Berlin, die um 20 Uhr abgeschlossen sind und in denen Haustierhaltung verboten ist! — und: wate durch eine Pfütze. Nanu, denke ich, hat heute doch gar nicht geregnet und im Treppenhaus schon gar nicht! Mein bereits abgesetzter Nasenkneifer führt mich auf die richtige Fährte: mit saurem Regen hat das nichts zu tun. Aber: Männer sollen ja in ihrem Pinkelverhalten nicht allzuweit entfernt vom „Revierpinkeln“ der Hunde sein...

Und die Moral von der Geschicht? Trau den Versprechungen kultureller Normen nicht! Denn die, die sie aufgestellt haben, brauchen sie nicht als Orientierung für das eigene Handeln, sondern als Legitimation für die Ausgrenzung, Diskriminierung und Verfolgung anderer. Ernie EigenSinn