Entspannungsfeinde

■ Die Bundesanwaltschaft torpediert die Kinkel-Linie

Entspannungsfeinde Die Bundesanwaltschaft torpediert die Kinkel-Linie

Wenn es noch eines Nachweises bedurfte, daß die Bundesanwaltschaft, entgegen ihrem Auftrag, eigene politische Ziele verfolgt, dann liefert ihn derzeit der oberste Ankläger Alexander von Stahl in Stammheim. Längst geht es in diesem Verfahren gegen Boock und Klar, wie auch in den bevorstehenden gegen andere, bereits verurteilte RAF-Gefangene nur noch vordergründig um Gerechtigkeit für die Opfer oder Schuld und Sühne. Vielmehr wird von Karlsruhe aus, wenn nicht mutwillig, so doch aus einem kurz- und durchsichtigen Kalkül heraus, jener Entspannungsprozeß torpediert, den Klaus Kinkel in Gang gesetzt und die RAF mit ihren nicht reumütigen, sondern politisch begründeten „Waffenstillstandserklärungen“ beschleunigt hat.

Während den Erfindern der Kinkel-Initiative eine möglichst geräuscharme, sukzessive Entlassung der Lebenslänglichen vorschwebt, setzt Karlsruhe, wie gehabt, auf Spaltung. Man möchte einige rauslassen, andere jedoch (deren Entlassung ohnehin aktuell nicht zur Debatte steht) möglichst über die Jahrtausendwende hinaus eingemauert sehen. Offensichtlich ist das Bedürfnis „nach Bestien“ groß, die dieses Prädikat im wesentlichen der Tatsache zu verdanken haben, daß sie länger „dabei“ waren als andere. Sie werden nicht zuletzt als Faustpfand zur Disziplinierung der militanten Szene benutzt — auch wenn das niemand offen ausspricht.

Im Fall Boock kommt ein weiteres Motiv hinzu: Rache. Boock hat die Bundesanwaltschaft — und nicht nur sie — über zehn Jahre an der Nase herumgeführt. Das können die Karlsruher ihm nicht verzeihen. Zu allem Überfluß stellt sich nun, nachdem er endlich ausgepackt hat, auch noch die vollmundige Behauptung, die Anschläge der 70er Jahre seien von Anklage und Gerichten sämtlich richtig rekonstruiert worden, als grandiose Fehleinschätzung heraus. Auch dafür soll Boock büßen. Offenbar will man erst Ruhe geben, wenn der RAF-Aussteiger der letzten, längst brüchig gewordenen Säule seiner Selbstachtung beraubt ist: Er soll Namen nennen, die seine Verfolger längst kennen.

Zuweilen agiert die Karlsruher Behörde so, als gehe es nicht nur um „Arbeitsbeschaffung“, wie Boocks Anwalt meint, sondern darüber hinaus um Arbeitsplatzsicherung: Man testet die Geduld der linken Szene solange, bis es wieder zu ermitteln gibt. Gerd Rosenkranz