Das neue China und Asiens neue Unordnung

Nach dem Kalten Krieg fürchtet Ostasien verschärfte Interessengegensätze zwischen Japan und China/ Mögliche Konfliktpunkte: Korea und Kambodscha  ■ Aus Tokio Georg Blume

Der südkoreanische Präsident Roh Tae Woo rief es laut in die Welt hinaus: „Die Normalisierung der Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern ist ein Wendepunkt der Weltgeschichte und signalisiert den Anfang vom Ende des Kalten Krieges in Ostasien.“ Doch die Ankündigung verhallte ohne Applaus. Weder in Seoul noch in Peking feierten die Völker, nachdem ihre Regierungen im August die Aufnahme diplomatischer Beziehungen verkündeten.

Auch Restasien regierte kühl. In Amerika und Europa gratulierten nicht einmal die Regierungschefs zum diplomatischen Hochzeitsfest in Fernost. Dabei hatten sich mit China und Südkorea zwei Erzfeinde des Kalten Krieges in Asien zusammengefunden, die sich im Korea-Krieg 1950 bis 1953 die grausamsten Opfer zufügten.

Für den fehlenden asiatischen Friedensjubel gab es derweil gute Gründe. „Die Sicherheitslage im asiatisch-pazifischen Becken verspricht in den 90er Jahren unsicherer zu sein als zur Zeit des Kalten Krieges“, warnte Paul Dibb, ehemaliger australischer Geheimdienstchef, kürzlich auf einer Konferenz in Sydney. Die Gründe für die sicherheitspolitische Malaise in Asien sind auf den ersten Blick die gleichen wie in Europa: Denn auch in Asien ermöglicht der Rückzug der Großen die Aufrüstung der Kleinen. Schon leuchtet das warnende Beispiel Jugoslawiens bis nach Asien: Eben haben sich die Europäer noch des neuen Friedens gefreut, da versinken sie bereits wieder im Krieg. Könnte Asien das auch passieren?

Nostalgie nach USA und Status quo

„Wenn die Vereinigten Staaten helfen, Feindseligkeiten zu reduzieren und das Machtgefüge Ostasiens zu erhalten, dann gibt es eine echte Möglichkeit für einen langfristigen Frieden“, meint die jüngste US-japanische Studie des Reischauer Center for East Asian Studies. Diese weitverbreitete Ansicht zeigt bereits, wie sehr die Friedenshoffnungen der Region noch immer auf dem alten Status quo beruhen.

Bei ihrem letzten Treffen forderten die Außenminister der südostasiatischen Staatengemeinschaft Asean die USA auf, ihre militärische Präsenz in Asien zu bewahren. Niemals zuvor hatten sich die Asean- Länder Indonesien, Thailand, Malaysia, Singapur, Brunei und die Philippinen, deren Mehrheit sich traditionell zu den Blockfreien zählt, auf ein solches Bekenntnis zur Washingtoner Schutzmacht einigen können.

Zugleich hatte die Konferenz militärische Fragen erstmals offen in den Vordergrund gerückt. Doch von einer multilateralen Sicherheitskonferenz, etwa nach dem Beispiel der europäischen KSZE, ist man in Asien immer noch weit entfernt. Schon ist absehbar, daß in dem Augenblick, wo alle die Notwenigkeit einer gemeinsamen Sicherheitsorganisation erkennen, die Diplomatie zu spät kommt. Nicht einmal die USA setzen sich offensiv für kollektive Sicherheitsmechanismen ein. Auch die anderen Akteure lassen sich Zeit. Schließlich werden an Asiens neuen Fronten derzeit noch keine Schlachten geschlagen.

Wie schnell sich das ändern kann, zeigte ein internes chinesisches Dokument, das die Meinung von Pekinger Regierungsexperten wiedergibt und Mitte August von der Hongkonger Zeitschrift Far Eastern Economic Review aufgedeckt wurde. Dem Papier zufolge erhebt China Anspruch auf neuen „Lebensraum“ im südchinesischen Meer. Gemeint sind die sogenannten Spratly-Inseln zwischen Vietnam und den Philippinen, von denen einige bis zu 1.000 Kilometer von der chinesischen Küste entfernt liegen.

Peking hatte bereits im Februar die gesamte Spratly-Gruppe per Gesetz zu chinesischem Staatsgebiet erklärt. Bewußt ignorierte es dabei, daß neben China fünf weitere Länder — Taiwan, Vietnam, Malaysia, Brunei und die Philippinen — Anspruch auf die angeblich erdölreichen Inseln erheben und sich vor Ort die Soldaten von fünf Nationen in die Flinten schauen. Schon 1988 versenkte China dort zwei vietnamesische Kriegsschiffe; siebzig vietnamesische Soldaten kamen dabei ums Leben.

Die Spratlys aber sind nur einer der Gefahrenpunkte in Ostasien. Besorgnis besteht auch über das Atomprogramm Nordkoreas, von dem niemand weiß, wann es die erste Bombe produziert. Schon im Frühjahr war auch der Territorialstreit um die Senkaku-Inseln zwischen Peking, Tokio und Taipeh neu aufgelebt, als China die Inseln nördlich Taiwans ebenfalls per Gesetz annektierte.

Wirtschaftlicher Druck gegen militärische Macht

Für den Asienexperten des Londoner Instituts für Strategische Studien, Gerald Segal, liegt eine der „großen strukturellen Instabilitäten Ostasiens“ im Ungleichgewicht zwischen den regionalen Vormächten Japan und China. Segal erkennt in China eine vornehmlich militärische Macht, während Japan als führende Wirtschaftsmacht „grundsätzlich unfähig ist, sich ohne Unterstützung der USA zu verteidigen“. Weil Japan und China ihren Einfluß in Asien bisher auf diesen unterschiedlichen Ebenen ausweiten, stehen sie nur scheinbar nicht in direkter Konkurrenz. In Wirklichkeit aber fürchtet die Region nichts mehr als ein Aufeinanderprallen der politisch unversöhnten Giganten.

„Was passiert, wenn die Männer Pol Pots den ersten japanischen Blauhelm-Soldaten erschießen?“ zitiert der japanische Politik-Professor Taga Hidetoshi von der Universität Niigata jene Frage, die er auf seiner August-Reise durch Südostasien am häufigsten vernahm. China war bis zum vergangenen Jahr wichtigster Unterstützer und Waffenlieferant der Roten Khmer im kambodschanischen Bürgerkrieg. „Dahinter steckt die Sorge“, meint Hidetoshi, „daß Japan und China aneinandergeraten.“

So erklärt sich auch die verhaltene Reaktion der asiatischen Hauptstädte auf den diplomatischen Mauerbruch zwischen Südkorea und China. Denn in der neuen chinesisch-koreanischen Allianz könnte eine Drohung an Japan liegen.