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E viva il Machismo

Belanglos bis peinlich — Italiens Wettbewerbsfilme  ■ Aus Venedig Christiane Peitz

Seit dem Wochenende und den Wettbewerbsbeiträgen von Iosseliani, Zhang Yimou und Luis Puenzo dümpelt das Festival wieder vor sich hin. Die provisorisch gezimmerte Galeere vor dem Palazzo del Cinema (Kritikerjargon: 'Ikeaschiff') symbolisiert zutreffender die Schwäche dieser Biennale. Die hölzerne Inszenierung erinnert an ein historisches Schiff, das nur bei schönem Wetter auslaufen konnte und dessen Nachbildung, ein Auftragswerk von Ludwig II., im Starnberger See versank.

Zum Beispiel die Italiener. Landeskundige versichern, die Auswahl sei reiner Parteienfilz; jedenfalls ist nicht zu übersehen, daß alle drei Wettbewerbsbeiträge von der RAI stammen. Pupi Avati erzählt in „Fratelli e sorelle“ („Brüder und Schwestern“) von einer betrogenen Ehefrau, die mit ihren beiden Söhnen zur Schwester in die USA flüchtet. Der Film ist allein handwerklich eine Katastrophe; so viel hilflose Kameraschwenks, falsche Bildanschlüsse und stümperhafte Tonmischung erwartet man höchstens von einem Anfänger. Hinzu kommt Avatis verklemmte Sicht auf pubertierende Jugendliche. Der eine der beiden Söhne bändelt flugs mit Stiefschwestern und Sprachlehrerinnen an, der andere versagt kläglich angesichts der Weiblichkeit. Avati beobachtet diese Szenen aus der Schlüssellochperspektive. Die Frauen zieren sich, aber im Grunde sind sie allzeit bereit — das zügellose Geschlecht. Mario Martone zeichnet in seinem Debütfilm „Tod eines neapolitanischen Mathematikers“ das Porträt eines verkannten Genies. Renato Caccioppoli war Mathematiker, Bakunins Enkel, musikalisch begabt und Kommunist. 1959 schoß er sich eine Kugel in den Kopf, aus enttäuschter Liebe, enttäuschter politischer Hoffnung und weil er zuviel trank. Carlo Cecchi gibt den einsamen Intellektuellen im ewig zerknitterten Trenchcoat als smarten Kettenraucher, blaß, schlecht rasiert — ein verarmter Sonnyboy mit der unvermeidlichen Haarsträhne im Gesicht. Die Nächte in Neapel sind goldgelb getönt, der Aura zuliebe.

Dasselbe Licht auch im zweiten italienischen Erstlingswerk im Wettbewerb, Aurelio Grimaldis „La Discesa di Acla di Floristella“ („Der Abstieg Aclas in Floristella“). Floristella ist eine Schwefelmine in Italien zu Beginn des Jahrhunderts. Kinderarbeit im Bergwerk, brutale Männergesellschaft, ländliche Armut, irdenes Geschirr und hübsche Kleinkinder mit lockigem Haar. Sozialkitsch, zu der die Filmmusik Bachs „Matthäuspassion“ und Verdis „Gefangenenchor“ imitiert — der Junge Acla, ein Märtyrer.

Die Musik und das Licht entlarven Grimaldis wahre Absicht: Die Bergarbeiter schlafen unter Tage im malerischen Halbdunkel, Männerleiber zuhauf, vor allem die Hintern. Der Dreck auf der Haut unterstreicht nur die schwule Erotik, gegen die nichts einzuwenden wäre, wenn sie sich nicht hinter der sozialen Thematik versteckte. Acla, mit immer frischgewaschenem blondem Kurzhaar, ist so weniger das mißhandelte Kind als vielmehr Objekt homosexueller Begierde. Aber Grimaldi zeigt die Gewalt nicht als verdrängte Zärtlichkeit, seine Bilder sind Ergebnis der gleichen Verdrängung. Mutter und Schwestern stehen daneben und komplettieren das Genrebild: Es lebe der Machismo!

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