Gesundheitsreform schmerzt Ärzte

Vertreterversammlung der Kassenärzte diskutierte die Pläne des Gesundheitsministers/ Als Kostenverursacher sehen sich die Weißkittel nicht/ Zustimmung für Seehofers Zuzahlungsvorschläge  ■ Aus Bonn Annette Jensen

„Auf welchem Stern leben Sie eigentlich?“ fuhr gestern der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Ulrich Oesingmann, einen Kollegen an. Der hatte versucht, die in Bonn versammelte Vertreterversammlung gegen den Vorstand zu agitieren, Verhandlungen über das Gesundheitsstrukturgesetz sollten von den Kassenärzten abgelehnt werden. Die Kritik müsse grundsätzlich sein und nicht nur Schadensbegrenzung für die gebeutelte Ärzteschaft bedeuten. „Wenn wir nicht mitarbeiten, trifft uns das Gesetz in voller Härte!“ verteidigte der Vorstand sein Konzept, für das er trotz massiver Kritik den Segen der Vertreterversammlung bekam. Noch gestern abend sollten die Vorschläge mit Minister Seehofer diskutiert werden. Schon am Freitag steht die Gesundheitsreform auf der Tagesordnung im Bundestag.

Die dickste Kröte für die Kassenärzte ist Seehofers Absicht, Arznei- und Heilmittel zu budgetieren. Zwar haben die Weißkittel die sogenannte Malusregelung bereits gekippt, die jedem Arzt nur ein bestimmtes Kontingent für Pillen und Salben zugesteht. Aber auch den neuen Vorschlag eines von ihnen selbst zu verwaltenden Gesamtbudgets lehnen sie ab. Sie fühlen sich nicht verantwortlich für die steigenden Ausgaben der Krankenkassen für Arzneimittel. Notfalls müsse die Pharmaindustrie hier Kosten übernehmen. Sie sei schließlich für die Preisgestaltung zuständig. Der Hauptvorschlag der Ärzte aber zielt in eine andere Richtung: „Das von der Bundesregierung vorgesehene Einsparvolumen im Arzneimittelbereich ließe sich leicht erreichen, wenn die Bundesrepublik sich in der Frage der Mehrwertsteuer für Arzneimittel endlich den übrigen Ländern der EG anschließen würde.“ Zwei Milliarden Mark Einsparungen seien hier drin — keine Einbußen hätten die Ärzte. Sollte sich Seehofer aber partout die Budgetregelung nicht abhandeln lassen, wollen die Kassenärzte das laufende und nicht das vergangene Jahr als Berechnungsgrundlage durchsetzen.

Auch an anderer Stelle versuchen die Kassenärzte, den schwarzen Peter Kostenverursacher woanders als bei sich selbst zu orten und neue Pfründe zu erschließen: Die Krankenhäuser operierten zu teuer, vieles könne ambulant erledigt werden. Allein vier Milliarden Mark seien einzusparen, wenn Operationen bei bestimmten Indikationen künftig von niedergelassenen Ärzten durchgeführt würden. „Dafür aber sind natürlich Löcher in den verschiedenen Budgets notwendig“, so Oesingmann. Zwar war gestern viel von der Verantwortung gegenüber den Patienten die Rede. Sie bezieht sich aber offenbar nicht auf deren Portemonnaies: Seehofers Zuzahlungsvorschläge fanden eindeutig die Zustimmung der Delegierten. „Ein gutes Erziehungsmittel“, kommentierte ein Redner. Damit die Versicherten nicht immer die teuerste Packung aufs Rezept geschrieben haben wollen, schlagen die Kassenärzte eine prozentuale Staffelung der Zuzahlung je nach Packungsgröße vor.

Der einzige Änderungsantrag, der schließlich durchkam, betraf eine Altersgrenze für Ärzte. Hatte der Vorstand dafür plädiert, die von Seehofer festgelegte Zwangspensionierung mit 65 um drei Jahre nach hinten zu verschieben, so sah die Mehrheit hierdurch ihre Freiberuflichkeit gefährdet. Die Begrenzung des Nachwuchses wurde zwar verbal ebenfalls bedauert, aber hier wollen sich die Ärzte nicht mit Minister Seehofer anlegen.