„Ohne Waffe bis du hier nichts“

■ Arbeit gibt es kaum, beim Begleitschutz „Technische Einheit“ jedoch wird in Dollar bezahlt

Mohammed rutscht tief auf seinem Sitzkissen hinunter und entsichert das Maschinengewehr. Auch seine beiden Freunde suchen, so weit es geht, Deckung hinter den dünnen Ladeklappen des offenen Lieferwagens. Ihre Befürchtungen bewahrheiten sich: Ein Posten an einer Straßensperre am Ortseingang von Baidoa ballert hinter dem Wagen her — weil er kein Trinkgeld erhielt oder weil ihm womöglich das Gesicht des Fahrers nicht paßte. Mohammed antwortet mit einer MG-Salve, getroffen wird niemand. „Ich mag eigentlich keinen Krieg“, sagt der 23jährige ehemalige Ökonomiestudent, „aber ich brauche den Job.“ Der verwegene Fahrstil indes beweist, daß ihm das Macho-Image alles andere als eine Last ist.

Somalias Hauptstadt Mogadischu liegt in Trümmern. Hier und da gibt es zwar trotz der Hungerkatastrophe Zeichen der Normalisierung, aber Arbeit gibt es kaum. Wer allerdings bei einer „Technischen Einheit“ unterkommt, verdient nicht nur glänzend, er kassiert auch in US-Dollars. Die „Technische Einheit“ ist eine Sprachschöpfung, wie sie nur im Bürgerkriegswirrwarr von Somalia möglich ist; weil bewaffnete Leibwächter von keiner Hilfsorganisation bei der Zentrale abzurechnen sind, ersannen findige Verwalter diesen Begriff, um die Honorare für den mit Sturmgewehren, Mörsern, Handgranaten oder Maschinengewehren ausgerüsteten Begleitschutz zu bezahlen. Etwa 100 US-Dollar in Mogadischu, 300 bis 400 Dollar pro Tag für Fahrten ins Hinterland beträgt das Tagessalär.

Während einer kurzen Teepause holt Mohammed eine Brieftasche mit Fotos aus dem Handschuhfach: der Student mit seiner Schwester im Park, mit einigen Nichten auf dem Spielplatz — ein Andenken an einen Besuch im Nachbarland Kenia. Und schließlich eine Familienaufnahme vor dem ersten Auto, das sein Vater kaufen konnte. Familie und Verwandte sind längst nach Kenia geflohen, die betagte Familienkutsche tauschte Mohammed gegen den neuen „Pick-up“ aus Japan ein— robust und geländefähig, um auch auf schlechten Wegen voranzukommen. Wo er den Wagen aufgetrieben hat? Verlegen blickt er seine drei Freunde an und sagt schließlich: „Ich habe ihn gefunden.“ Gestohlen im Durcheinander des Bürgerkriegs, kommt der Wahrheit vermutlich näher. Mohammeds Begleitschutz dient freilich nicht nur der Sicherheit der Kunden, die er herumfährt. Vor allem sorgt er mit Hilfe seines ansehnlichen Waffenarsenals dafür, daß sich niemand an seinem fahrbaren Untersatz zu schaffen macht.

In Baidoa übernachtet Mohammed im Haus des Gouverneurs. In den Kreisen von General Farrah Aidids Soldaten ist er bestens bekannt. „Barre war ein Verbrecher, er mußte weg“, beschimpft er den Diktator, der Somalia 21 Jahre lang mit Unterstützung der Supermächte und seit 1975 der Bundesrepublik beherrschte. Doch den Konflikt der letzten Monate, den Krieg zwischen Clans und Sippen, kann auch er nicht erklären. „Die sind gegen uns, die wollen uns unterdrücken“, sagt Mohammed. „Die“, das scheinen alle jene zu sein, die nicht zur Fraktion von General Aidid gehören.

„Hey man“, radebrecht Mohammed auf Hafenenglisch, „ich muß von was leben, und gib mir auch ein Trinkgeld fürs Übersetzen.“ Wer könnte angesichts des wohlgepflegten G-3 von Heckler & Koch unter seinem Arm noch nein sagen. Mohammed verdingt sich als Leibwächter und Chauffeur für Journalisten. Bekannte von ihm leisten ähnliche Dienste beim Roten Kreuz oder der UNO. Neben dem Gewerbe der „Technischen Einheiten“ floriert in Somalia nur noch der Handel mit gestohlenen Hilfsgütern ähnlich gut.

„Ohne Waffe bist du hier nichts“, sagt Mohammed. Und was man ist, entscheidet offensichtlich das Arsenal auf der Ladefläche. Mohammed ist gut bestückt: drei Sturmgewehre, das Maschinengewehr und ein handlicher Mörser — auch wenn er nur noch eine Granate übrig hat. In Gos Godoot, 30 km außerhalb von Baidoa, sind Schußwaffen dagegen rar. Die Männer tragen Speere, Pfeil und Bogen. „Somalis lieben Waffen“, bestätigt ein einheimischer Mitarbeiter der Hilfsorganisation CARE in Baidoa. Der Nachtwächter des einzigen Hotels am Ort hat stundenlang sein Maschinengewehr geputzt und geölt. Nun ist der schönste Augenblick gekommen. Mit ernster Miene trägt er das MG vor das Tor, baut sich breitbeinig auf, zielt irgendwo in die Luft über dem gegenüberliegenden Haus und schießt eine Salve ab. In der Nachbarschaft dreht sich kaum jemand um. „Willst du auch mal schießen?“ fragt Mohammed. Ihm fehlt sichtlich das Verständnis für die ablehnende Antwort. Willi Germund, Baidoa