Unkenrufe für eine andere Koalition

■ Nähert sich die SPD an die Union an?/ Oder die Union gar an die SPD?/ Alles ist möglich/ SPD-Fraktionschef Hans-Ulrich Klose bleibt beim begrenzten Angebot der Zusammenarbeit

Bonn (taz) — Die Unionsfraktion muß ziemlich lange darüber nachgedacht haben, wie man den SPD-Fraktionsvorsitzenden, der in der Generaldebatte über den Kanzlerhaushalt traditionell das erste Wort hat, möglichst geringschätzig behandelt. Denn wer den CSU-Landesgruppenchef Wolfgang Bötsch (mit langem ö) als ersten Redner für das Regierungslager an das Pult schickt, kann nicht ganz frei von niederen Motiven sein. Wie auch immer: dem unverdrossenen Bayern gelang es auf der Stelle, die Aussichten auf eine echte Debatte zu verbauen.

Solche Hoffnungen hatte die Rede von Hans- Ulrich Klose durchaus geweckt. Der Gong zu Sitzungsbeginn verpfuschte Klose zwar seine kleine Auftaktdemonstration. Denn das Parlament mußte sich erheben und verbaute so die Sicht auf den Händedruck des Führungsduos Klose/Engholm, das neuerdings zu vielem entschlossen ist, mindestens aber dazu, entschlossen zu wirken. Seit Tagen wird in Bonn laut geflüstert: über die Wünsche der SPD nach Annäherung und Anpassung an die Union, nach mehr Zusammenarbeit oder gar eine große Koalition. Fraktionschef Klose zeigte seiner Fraktion und der Öffentlichkeit, daß er sich bestimmte Alternativen nicht aufzwingen läßt. Opposition oder Zusammenarbeit, Änderung des Asylrechtsparagraphen oder gar nichts neues in der Ausländerpolitik, auf solche Entweder/Oder-Konstellationen steigt Klose nicht ein. Für Klose bleibt es beim Angebot zur Zusammenarbeit, und trotzdem attakiert er die Regierung Kohl zur Freude seiner Fraktion viel härter als vor einem Jahr. Wenn der höfliche Klose, zu dessen Repertoire lautes Poltern nicht gehört, den Kanzler mit der Bemerkung zitiert, die Westdeutschen seien zum Verzicht nicht bereit, dann zeigt Kohl die ganz milde, unbeteiligte Mine und verrät damit, daß dieser Vorwurf getroffen hat.

Die Petersberger Beschlüsse in der Haushaltsdebatte

Klose stellt heftig klar: „Wenn sie die Probleme mit uns lösen wollen, dann müssen sie sich merken, wir tanzen nicht nach ihrer Pfeife “. Und obwohl der Fraktionsvorsitzende beim ersten Anlauf Pfeife und Tanz verwechselt, verfehlt er seine Wirkung nicht und die SPD-Fraktion ist einfach begeistert. Klose gehört an diesem Tag zu den wenigen Rednern, die der Feststellung, man müssen der Bevölkerung die Wahrheit sagen, auch die Wahrheit folgen läßt. Zur Asylfrage: „Das Problem lösen heißt nicht, daß keine Ausländer mehr kommen. Das geht zu Zeiten der Völkerwanderung nicht.“ Die Fraktion, die sich am Montag über die neue Asyllinie zerstritten, hört nun von ihren ersten mann, daß er sich gegenüber der Union auf „die alten Geschäftsgrundlagen“ beruft. Und die sei: „Das Individualrecht aan “kosmetischen Änderungen werden wir uns nicht beteiligen.“ In dieser Debatte kommt Klose auf das zurück, was die Petersberger Beschlüsse verwischen. Er verlangt von der Union, daß sie sich einer Einwanderungspolitik öffnet.

Neue Tonlage, aber keine neuen Schritte

Unter dem Strich bleibt es aber auch in Kloses Rede dabei: zwar ist Tonlage neu, doch wirkliche Ansätze, wirkliche Ideen zu neuen Schritten der deutschen Integration fehlen. Aber sie fehlen im Regierungslager erst recht. Und in diesem Umfeld von behaupteten, aber nicht vorhandener Handlungsfähigkeit, von Wortblasen und Schönrederei, fällt ausgerechnet Otto Graf Lambsdorff auf, weil er sich der Schönbfärberei verweigert. Nie in seiner Zwanzigjährigen Erfahrung mir Haushaltsdebatte haben es in den Wochen zuvor ein derartig dossonantes Konzert gegeben. Die Hauptdissonanzen macht der Chef der FDP im Regierungslager aus, seine eigene Partei nicht ausgenommen, obwohlihr Beitrag zur Konfusion um Anleihuen, Steuern un d Sparen immerhin der kleinste gewesen sei. Tissy Bruns