»Wir haben die ganze Nacht vor Angst gezittert«

■ In Berlins größtem Ausländerwohnheim in Hohenschönhausen war man auf den Angriff von rechtsradikalen Gruppen am vergangenen Wochenende vorbereitet/ Die Busse für eine Evakuierung warteten startbereit/ Die meisten Bewohner trauten sich nicht auf die Straße, andere verreisten

Hohenschönhausen. Die Betreuer und Bewohner des Ausländerwohnheims im Zentrum von Hohenschönhausen waren am vergangenen Wochenende auf alles vorbereitet. Die Evakuierungspläne waren bis ins Detail ausgefeilt, die Busse zum Abtransport in Ausweichquartiere standen startbereit. Doch der befürchtete Ernstfall trat dank der Polizei nicht ein. Die über 500 Fremdenfeinde, die sich in der Nacht von Samstag zu Sonntag im Bezirk zum Sturm auf Ausländerunterkünfte gesammelt hatten, wurden schon weit vor dem Heim auseinandergetrieben.

Das Heim der gemeinnützigen Arbeitnehmerwohnbautengesellschaft (ARWOGE) — die Anschrift wird hier bewußt nicht genannt — ist das größte in Berlin. Hier leben weit über 1.200 Menschen verschiedenster Nationalitäten. Die Mehrzahl kommt aus Vietnam, Laos und Kambodscha, aber auch Mosambikaner, deutschstämmige Aussiedler aus der GUS, Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien und deutsche Vertragsarbeiter sowie Berliner Obdachlose sind darunter. Die genaue Zahl der Bewohner ist weder dem Heimleiter Gerd Neubert noch dem Hohenschönhausener Ausländerbeauftragten Dieterich Wulfert bekannt. Der Grund: Viele Vietnamesen wohnen nach dem Auslaufen ihrer Verträge in den Zimmern von Freunden und Bekannten illegal zur Untermiete weiter. Die Dunkelziffer wird auf mindestens 250 Personen geschätzt. »Das ist ein großes Problem für uns, weil die Betriebskosten dadurch immens steigen und mafiotische Zustände begünstigt werden«, so Neubert. Das Problem besteht in allen vietnamesischen Wohnheimen. »Wir fragen uns schon lange, was wir dagegen tun können. Man kann die Leute doch nicht einfach auf die Straße setzen«, sagt der Ausländerbeauftragte Wulfert. Er ist der Meinung, daß der Senat für eine politische Lösung in dem Sinne sorgen muß, daß er Unterkünfte für diese Menschen bereitstellt.

Nationalitäten wohnen bunt gemischt

Das Wohnheim mit neun sechsstöckigen Häusern bildet inmitten einer Grünanlage einen nach außen abgeschirmten Block. An der Straßenseite steht das Wachhäuschen einer privaten Wachschutz-Organisation, die für alle Sicherheitsfragen auf dem Gelände zuständig ist. Auf den Etagen der von A bis I bezeichneten Häuser befinden sich jeweils 19 Zimmer à 17 Quadratmeter. Die Warmmiete beträgt 240 bis 280 Mark, die entweder vom Einkommen, Arbeitslosengeld oder der Sozialhilfe bezahlt wird. Jedes möblierte Zimmer ist mit einem Kühlschrank, Geschirr und Töpfen ausgestattet. Gekocht wird in einer der beiden Küchen auf der Etage, die auch über vier Dusch- und Toilettenräume, Männer und Frauen getrennt, verfügt. Neuankömmlinge werden dort einquartiert, wo etwas frei ist. Das führt zu einer bunten Mischung der Nationalitäten auf den Etagen. Nur die Flüchtlinge aus Bosnien/Herzegowina, unter denen sich auch etliche Sinti und Roma befinden, haben ein ganzes Haus für sich. Und die rund 30 Berliner Obachlosen sind auf einer Etage zusammengefaßt.

»In voller Montur zu Bett gegangen«

Auf den drohenden Angriff ausländerfeindlicher Gruppen am vergangenen Wochenende haben die Bewohner, die von der Heimleitung etagenweise vorab von der Gefahr unterrichtet worden waren, sehr unterschiedlich reagiert. Drei deutschstämmige Aussiedlerinnen aus Kasachstan erzählen, daß sie und ihre Kinder in voller Montur zu Bett gegangen seien, um jederzeit aufbrechen zu können. »Wir haben die ganze Nacht gezittert.« Fünf Vietnamesen, die gemeinsam fernsahen, berichten, daß sie am Wochenende aus Angst nach Halle gefahren seien. »Ich hatte keine Angst, weil ich mir Mut gemacht habe, daß sie nicht kommen«, sagt ein 28jähriger Mosambikaner. Allerdings hätten sich die meisten seiner Landsleute am Wochenende nicht auf die Straße getraut. »Daß die Rechten Ausländer angreifen, gibt es überall in Europa«, stellt er fest. »Aber daß Wohnheime angezündet werden, so was passiert nur in Deutschland«.

Alltägliche Konflikte

Und wie klappt das Zusammenleben untereinander? Große Konflikte, freut sich Heimleiter Neubert, gab es hier bisher noch nicht. In der Regel blieben die Landsleute unter sich. Ganz reibungslos verläuft der Alltag jedoch nicht. Mit den »schwarzen« Roma und Sinti, schimpfen die drei Frauen aus Kasachstan, »wollen wir nicht zusammenwohnen. Die sind dreckig und haben keine Kultur.« Vier Obachlose, die auf einer Decke in der Sonne liegen, sind ganz stolz darauf, daß sie machmal von Vietnamesen zum Essen eingeladen werden. »Das will schon was heißen.« Auf der Tischtennisplatte hocken Jugendliche aus Bosnien. Wie ihr Verhältnis zu den Vietnamesen ist? »Mädchen?« versteht ein 14jähriger mit dunklem Lockenkopf und Goldkettchen um den Hals, der nur ein paar Brocken Deutsch kann. »Nein, Vietnamesen!« — »Mädchen!« kommt es mit strahlendem Blick zurück. Plutonia Plarre