: Die Person als Alibi
■ Das Tanztheater Skoronel zeigt beim »Berliner Tanzherbst« ein Stück über Vincent van Gogh
Der Senat hat noch immer nicht entschieden, was aus dem Haus am Halleschen Ufer werden soll. Die Schaubühne hatte darin ihre größten Erfolge gefeiert, danach zog die Theatermanufaktur ein, heute sieht man dem Bau an, daß er nicht mehr regelmäßig bespielt wird. Im kalten und schmucklosen Foyer gibt es nichts zu trinken, am äußersten Ende der Garderobe werden fast verschämt die Programmhefte zum heutigen Abend verkauft. Der »Berliner Tanzherbst«, eine ganze Reihe von Aufführungen freier Gruppen steht bevor, es lohnte sich also, etwas gegen die nicht gerade einladende Atmosphäre zu tun.
Fünf Minuten vor dem Beginn werden wir eingelassen. Im Halbdunkel der Bühnenbeleuchtung sind schemenhaft die Tänzer zu erkennen. Wie so oft im Off-Theater beginnt der Abend erst zehn Minuten später. Einzeln trudeln Nachzügler ein, am Einlaß freundlich begrüßt und auf die besten Sichtmöglichkeiten hingewiesen. Endlich erlöst uns Paul Hindemith mit Klavier und Cello vom Warten, und während des Vorspiels kann ich mich endlich auf die Vorstellung einstellen. Das Tanztheater »Skoronel« gibt es seit acht Jahren. Die Truppe nennt sich nach einer in den zwanziger Jahren bekannten Tänzerin — Vera Skoronel, heißt es, habe viel zur Weiterentwicklung des modernen Tanzes beigetragen. Zu sehen sind nun perfekt gebaute Tanz- und Bewegungskombinationen, dazu schöne Bilder, die die Lichtregie eines aus dem anderen entstehen läßt.
Aber es bleibt bei äußeren Effekten. Ein Mensch steht allein gegen eine Gruppe; zwar wird er von ihr aufgenommen, gleich darauf aber wieder weggestoßen. Die Botschaft ist klar, die Story auswechselbar. Es könnnte jeder andere sein, der mit dem Leben, mit seinen Mitmenschen, mit sich selbst nicht zurechtkommt und schließlich zerbricht.
Wie ein Alibi wirken die wenigen Momente, in denen der Maler van Gogh erkennbar wird. Dann wird auch die allgemeine, schon hundertmal gesehene Geschichte vom Widerspruch zwischen Individuum und Gesellschaft konkret. An der hinteren Bühnenwand sitzt auf einer Schaukel eine Schauspielerin, die die Bewegungen der Tänzer und Tänzerinnen durch Monologe kommentiert. Da sie meist gegen die Wand gesprochen wurden, bleiben sie zum großen Teil unverständlich und verwirren mehr, als daß sie zur Erhellung des ganzen Spektakels beigetragen hätten. Sibylle Burkert
»Vincent fressen ihn die Raben« Nächste Vorstellungen: heute um 21.30Uhr, am 12. und 13. September um 20.30Uhr in der Theatermanufaktur am Halleschen Ufer
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