Neuer sozialistischer Realismus

■ Eine Ausstellung über ein Gerätebatteriewerk in Treptow fragt nach der proletarischen Lebenswelt

Was sich bloß wie eine McLuhansche Verballhornung des »Friseurs in der Botschaft« anhört, ist hier bittere Realität geworden: Eine Ausstellung im Kunstraum gleichen Namens informiert am Wochenende über das Berliner Gerätebatteriewerk BELFA. Die nach der Wende von 500 auf nunmehr 163 Beschäftigte »gesundgeschrumpfte« und seit zwei Jahren auf Nullstunden-Kurzarbeit gesetzte Belegschaft bezeichnet nämlich die besonders unfähigen Treuhand-Manager, die abwechselnd für die Privatisierung und nun für die Liquidierung ihres einstigen DDR-Monopolbetriebes zuständig sind, schlicht als »Friseure«. Bei jedem interessierten Investor ordnete die Treuhand dessen Wünschen gemäß neue Massenentlassungen an, 1990 wurde faktisch ein Invesitionsverbot für die BELFA verfügt.

Das Werk in Oberspree ist immer noch Teil der Industriebatteriefabrik BAE in Oberschöneweide, seine Verselbständigung wurde wieder und wieder in Aussicht gestellt. Mitte des Jahres blieb als einziger Interessent die Düsseldorfer Firma »Gewerbe im Park« (GIP) übrig, die sieben Millionen Mark für das 28.000 Quadratmeter große Grundstück, idyllisch am Fluß gelegen, bot.

Als die Treuhand zögerte, weil sie dafür eigentlich zwölf Millionen erlösen will, polierten die GIP-Manager ihr Angebot auf: Ein Vertriebsfachmann hatte zuvor Abnahme-Absichtserklärungen für BELFA-Batterien von mehreren Großhandelsketten in Aussicht gestellt — nun bot GIP eine Arbeitsplatzgarantie für rund 100 Beschäftigte bei Fortführung eines Teils der Batterieproduktion, wollte dafür aber nur zwei Millionen Mark für das Ganze zahlen und die restlichen 5 Millionen in die Produktion investieren.

In der Treuhand hatte man sich derweil jedoch schon auf den lukrativen Immobiliendeal eingestellt: »Zwei unabhängige Wirtschaftsgutachten« seien zu dem Ergebnis gekommen, die Batterieproduktion müsse eingestellt werden — so Treuhand-»Friseur« von Bismarck gegenüber den GIP-Geschäftsführern. Zwar handelte es sich dabei nur um hauseigene Argumentationshilfen zur Flankierung der »Immobilienlösung«, aber selbst ein Großteil der Restbelegschaft ist mittlerweile nicht mehr so richtig davon überzeugt, daß ihre seit der Wende durchaus den marktwirtschaftlichen Erfordernissen angepaßte Produkt-Palette noch eine Chance hat, sich gegen Marktführer wie Varta, Duracell und Philips behaupten zu können. Mittels Betriebsbesetzung und Protestdemonstrationen ließ sich bei der Treuhand eben noch eine Auslaufproduktion bis zum Jahresende durchsetzen, die ein an Narva orientiertes Umschulungs- und Qualifizierungsmodell mit Wiedereinstellungsgarantie halbwegs realistisch erschienen ließ.

Eben diese Chance zu vereiteln, das scheint nun einem »Friseur« der Treuhand-Abteilung für Arbeit und Soziales zu obliegen. Während der zu liquidierende Betrieb mit seinen alles andere als maroden Produktionsmaschinen und Forschungseinrichtungen bei den Coiffeuren der Treuhand-Liegenschaftsverwaltung gelandet ist. Desungeachtet haben neben der GIP jetzt auch noch andere Investoren die Botschaft — »Energiespeicherung: ein ebenso interessantes wie vielversprechendes Problem der Zukunft« — vernommen. Für sie will man in der Treuhand-Abteilung Elektrotechnik jetzt doch noch einmal eine »begrenzte Neuausschreibung« des Werkes wagen.

Die Berliner SPD, allen voran Walter Momper, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Peter Wolf und der Abgeordnete Siegfried Scheffler favorisieren derweil eine mittlere Lösung (»stramme Haltungen ersetzen keine Mehrheiten«): Verlagerung der Kernproduktion auf einen anderen Industriestandort bei gleichzeitiger Entwicklung der BELFA-Immobilie am Treptower Spreeufer. Im Gegensatz zu seiner Immobilienfirma Ellinghaus hielt Momper den Bau eines Hotels nebst Yachthafen auf dem Gelände für durchaus realistisch und wünschenswert.

Während in dem bereits vorskizzierten Düsseldorfer GIP-Gewerbepark-Entwurf vor allem die darin eingezeichneten Mercedes-Limousinen auffallen, sind es in einem Entwurf der Londoner Projektagentur Sir Alexander Gibb für das Industriegebiet »Spreeknie« — auf der gegenüberliegenden Flußseite — ebenfalls Yachthäfen, die der »Revitalisierungs-Strategie« Markanz verleihen sollen. Angesichts solcher Idden für ein Luxus-Environment fragen sich die Rest-Belegschaften hüben wie drüben jedoch, ob sie zukünftig ohne Yachtschein dort überhaupt noch Arbeits- und Parkplätze finden werden.

Gibt es neben der yuppisierten Freizeit-Centrisierung denn überhaupt keine entwicklungswürdigeren Proletarier-Lebenswelten mehr? Zumal in Berlin — wo die zu Zigtausenden eintreffenden Osteuropäer schon für 3,80 Mark die Stunde arbeiten und die nach West-Berlin drängenden Ostdeutschen mittlerweile die mittelmeerischen Arbeiter in Massen in die Arbeitslosigkeit abdrängen? Wenn die Treuhand-Manager, die am Tag doppelt so viel verdienen wie ein BELFA-Beschäftiger im Monat (nämlich 2.000 Mark) im nächsten Jahr abziehen, wird sich im Märkischen, wo jetzt rund um Berlin noch 87 Golfplätze projektiert sind, wahrscheinlich ein weites Feld für den sozialistischen Realismus auftun — wenn auch ohne staatliche Förderung diesmal.

Im Friseur der Botschaft wird der BELFA-Betriebsratsvorsitzende, Peter Hartmann, am Freitag und Samstag aber erst einmal einen lichtbildgestützten Vortrag über den Abschwung Ost halten. Anschließend wird ein Selbstdarstellungsvideo der Düsseldorfer Firma »Gewerbe im Park« und der Treuhand gezeigt. Helmut Höge