DURCHS DRÖHNLAND
: Bumm-daff-daff und jodel-jodel-didum

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Hier kommt er wieder, der getragene Monsterrock der siebziger Jahre. Blind Guardian haben nicht nur kitschige Plattencover, sondern auch reichlich pathetische Sangeslinien, die von teilweise akustischem Gitarrengezirpe unterstützt werden. Den Schmalz reichern die Krefelder mit halbwegs modernen Knüppelparts an, die durch die klassische Hardrock-Stimme aber eher an die Dinosaurier der Branche wie Led Zep oder Black Sabbath erinnern. Textlich sind Blind Guardian sogar von vorvorgestern. Da tappen mystische alte Barden durch die Dunkelheit, die letzte Schlacht muß noch geschlagen werden, und ein Song widmet sich gar explizit Tolkiens »Herr der Ringe«. Ähnliches tun sich auch Iced Earth aus Florida an, die dortselbst vom Death-Paten Tom Morris produziert wurden. Auch bei ihnen heißen Songs »Mystical End« oder »Before the Vision«. New- Age-Metal oder was oder wie, Hobbit hilf!

Am 11.9. um 21 Uhr in Huxley's Neuer Welt, Hasenheide 108-114, Kreuzberg

Während in Berlin der Kampf um den nächsten Techno-Trend tobt, erfreuen sie sich anderswo noch an EBM. Ja genau, Electronic Body Music, jene in Belgien durch Front242 und Nitzer Ebb erfundene Maschinenmusik, deren größtes Plaisier möglichst seelenloses Beat-Geklopfe ist. The Invincible Spirit sind das vielleicht dienstälteste Projekt dieser Richtung in der BRD und haben mit »Can Sex Be Sin« bereits ihre zwölfte Veröffentlichung vollgeklopft. Ihre Stroboskop-Rhythmen sind zwar zumindest stimmungsmäßig den harten und moderneren Tekkno-Sounds angepaßt, aber »ein volles Brett«, wie der Tekknokrat zu sagen pflegt, sind sie noch nicht. Dazu haben sie noch zu viele schwelgerische Momente im Angebot. Thomas Lüdke singt dazu möglichst düster oder deklamiert getragen wie Herr Bargeld. Für die einen auf Dauer überaus ermüdend, für die anderen die tödliche Tanz-Trance.

Am 11.9. um 22 Uhr auf der Insel, Alt-Treptow 7

Speedniggs

Rockmusik ist was für die Provinz. Nur in der Abgeschiedenheit kultureller Brachlandschaften scheint noch das Gefühl entstehen zu können, das junge Menschen mit Macht dazu treibt, eine Band zu gründen und Rock zu spielen. Die Speedniggs aus Detmold waren die hoffnungsvollsten Adepten amerikanischen Gitarrenrocks und sind es leider immer noch, weil im Zweifelsfalle immer das Original vorgezogen wird. Doch die Speedniggs sind mehr als nur ein guter Ersatz für — sagen wir mal — DinosaurJr. und definitiv eine der besten Live-Bands dieser unserer Republik.

Am 12.9. um 22.30 Uhr im Knaack, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg

Nur der nächste Hype aus England oder irgendwas mit Substanz? Die Manic Street Preachers fanden sich ohne Plattenvertrag bereits auf dem Titelbild des allgegenwärtigen New Musical Express, frustrierten Radio- Programmplaner durch zu leicht falsch einordenbare Musik und stellten sich schließlich als ziemliche Spinner heraus. Punkrock ist für sie noch lange nicht tot, aber natürlich haben sie erkannt, daß er nicht mehr der letzte Schrei ist. Auf ihrer ersten Platte »Generation Terrorists« ist nur mehr die im Titel versprochene Attitüde geblieben, musikalisch erinnerten sie sich — nach der Überwindung ihrer Clash-Phase — an noch Älteres und entdeckten die New York Dolls. Mit geschminkten Augen und dem guten alten Rüschenhemd rufen sie nun den Glamrock zurück ins Gedächtnis. Dies tun sie durchaus versiert mit großen, saftigen Gitarren, pathetisch-sehnsüchtigen Melodien und extremen Selbstbewußtsein: Man möchte eine ähnliche Karriere wie Guns'n'Roses hinlegen. Natürlich sind die Manic Street Preachers absolut radiokompatibel, aber dabei fast zu perfekt. Sie sind wie die Apokalypse des Rock-Radios, wie das eine Gummibärchen zuviel, das einem aus dem Gesicht fällt. In England lieben sie sowas, denn die Manic Street Preachers machen süchtig — wie die Gummibärchen eben.

Am 13.9. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz

TankardFoto: Thorsten Jansen

Wohl kaum eine andere Band hat in der Stadt eine solch kleine, aber konstant treue Fangemeinde wie Blurt. Zu krude mag das über ein monotones Rhythmusgerüst flippende Saxophon von Ted Milton sein, zu versponnen sein Humor, um Massenwirkung zu erreichen. Aber wer sich zu einem Blurt-Gig wagt, wird chancenlos hineingezogen in die sich scheinbar endlos immer gleich wiederholenden Gitarrenschleifen von Chris Vine und das stoische Schlagzeug Paul Wigens. Milton spielt dazu den Clown, den durchgeknallten Künstler, deklamiert seine blödsinnigen, fast schon dadaistischen Texte, bläst das Saxophon, könnte aber auch das Vorbild für John Luries Rolle in »Subway Riders« sein. Man könnte es Jazzpunk nennen, aber andererseits entwickeln Blurt soviel Humor, daß der Kunstanspruch schon wieder flöten gehen will. Festgehalten wird dieser inzwischen woanders, denn natürlich ist so jemand wie Milton mehrfach begabt und macht auch Filme und Bücher. Die aktuelle Platte »Pagan Strings« ist nur ein Abfallprodukt eines Multimedia-Projekts und leider entsprechend kopflastig. Der harte Funk, den Blurt durchaus in der Lage sind zu spielen, ging hier etwas verloren, was aber nicht bedeuten muß, daß er zum Konzert nicht wieder zurückkehrt.Am 14.9. um 20.30 Uhr im Loft

Babes In ToylandFoto: Michael Lavine

Die selbst erfundene und immer wieder gerne kolportierte Entstehungsgeschichte von Alice Brennen soll auch hier nicht fehlen: Angeblich traf sich das lang getrennte irische Geschwister-Paar am Sterbebett der Großmutter in Ost-Berlin wieder, versprach der dahinsiechenden Oma, eine Band zu gründen, nach ihr zu benennen und engagierte dazu gleich einen ebenfalls anwesenden türkischen Verwandten, der zufällig Saz spielen konnte. So entstand das obskurste Folklore-Trio der Stadt. Man spielt am liebsten auf Hochzeiten und Beerdigungen, nimmt aber schon mal mit einem normalen Club Vorlieb, in den die Anleihen aus anglo-amerikanischer Musik sicher auch besser passen. Plötzlich taucht da Johnny Cashs »Ring of Fire« mitten in türkischem Folk auf, werden »All Tomorrows Parties« von Velvet Underground oder »Paranoid« von Black Sabbath gecovert. Alice Brennen ist nichts heilig, nicht die Musik ihrer Urahnen und schon gar nicht Sprachen: Da werden Gälisch, Deutsch und Türkisch heillos vermischt. Darunter fideln die Geigen wie von der grünen Insel, trommelt's und singt's türkisch oder halt ganz anders. Lustige Beerdigung das.

Am 14.9. um 22 Uhr im Franz, Schönhauser Allee36-39, Prenzlauer Berg

Gefeiert werden sie als die größte Hoffnung der deutschsprachigen Popmusik, Sänger und Texter Niels Frevert wird gar als der neue Peter Hein apostrophiert. Doch außer dem sperrigen Namen haben Nationalgalerie nichts mit den glorreichen Zeiten des gesungenen deutschen Wortes, der NdW gemeinsam. Sätze wie Hein auf der ersten Fehlfarben-LP gelingen Frevert nie, seine Themen sind die üblichen des Pop: Liebe, sanfte Sozialkritik, jungshafte Traurigkeit und nochmal Liebe. Auch musikalisch tut sich nicht viel, bläst eine geleckt saubere Produktion die einfältigen Liedchen zu austauschbaren Kassenschlagern auf. Doch zum dreisten Erfolg fehlt der Nationalgalerie wiederum die großartige Geste, die Pop nötig hat, um die Popeligkeiten des Alltags zum Weltwichtigsten aufzubauschen. Von den Prinzen aus Sachsen trennt die Hamburger nur deren offensichtliche Dummbatzigkeit, aber musikalisch wie textlich bleiben sie leider austauschbar, zwar nicht gerade Krautrock, aber durchaus maffayesk.

Am 15.9. um 20 Uhr in Huxley's Neuer Welt

Gnadenlos lärmend schicken sie die B-52's in die Mülltonne, um von dort laut scheppernd die Welt darauf aufmerksam zu machen, daß man erst in den schiefen Tönen richtig selig suhlen kann. Die Babes in Toyland sind das beste, was sich Sonic Youth als Vorgruppe aussuchen konnten, aber längst aus dem Schatten ihrer Gönner herausgetreten. Bumm-daff-daff, jodel- jodel-didum, man muß es lieben.

Am 15.9. um 20.30 Uhr im Loft

Wo, wenn nicht im Metal, bricht sich das gute Proletentum Bahn? So auch in der BRD, wo wir immerhin mit Tankard einen international anerkannten Vertreter des Genres aufzubieten haben. Die Jungs aus Hessen sind nicht nur gut für jede Menge Gerstenkaltschale- Hymnen wie das schon legendäre »Space Beer« gut — eine Flasche dieser Marke findet sich natürlich auch wieder auf dem Cover der neuen LP »Stone Cold Sober«. Sie glänzen auch durch sozialkritische Geistesblitze. So der Song »Jurisdiction«: Dort mündet die intensive Analyse deutscher Gegenwartspolitik in dem auf den punktbringenden Ratschlag »Fuck the Law!«. Daß Bier und Politik unweigerlich zusammengehören, beweist der einzige deutschsprachige Song der letzten LP: »Freibier für alle — sonst gibt's Krawalle«. Und natürlich sind Tankard Fußballfans, konsequenterweise wurde das Organ von Sänger Gerre im Frankfurter Waldstadion bei Spielen der Eintracht gestählt. Gute Witze kennen sie aber auch, so ein Cover von »Centerfold« der J.Geils Band, das mindestens doppelt so schnell ist wie das Original.

Xenrix

Gar nicht witzig sind dagegen Xentrix aus England, die schon früher versuchten, in ihren Trash-Metal gewisse ruhigere, gefühlige Passagen einzubauen. Auf ihrer dritten und bisher letzten LP »Kin« bricht sich die Melancholie dann endgültig Bahn. Da findet sich sogar eine Ballade und vor allem jede Menge romantische Gesänge, die sich irgendwie wunderhübsch mit dem auch noch sehr verlangsamten Gitarrengeknüppel brechen. Macht zu intensives Headbangen traurig?

Am 16.9. um 20 Uhr in Huxley's Neuer Welt

Thomas Winkler