»Da sind ganz abenteuerliche Sachen gelaufen«

■ 18 von 35 Dienstleistungszentren in Ost-Berlin hat die Treuhand an Investoren verkauft/ Wichtige Funktion in den Bezirken/ Bezirksstadträtin setzt Erhalt der Jugendklubs durch/ Investitionen von 1,5 Milliarden Mark und 12.000 neue Arbeitsplätze

Berlin. Knut Herbst lächelt stolz. Sichtlich zufrieden lehnt er sich im Stuhl zurück: »Wir haben das Projekt gut durchgebracht.« Mit dem »Projekt« meint der Leiter der Treuhand- Länderabteilung die Verhandlungen zum Verkauf von 35 Dienstleistungszentren in Ostberliner Neubaugebieten an private Investoren. Dabei handelt es sich um ein zusammengefaßtes Gebiet, auf dem meist eine Kaufhalle, eine Klubgaststätte und ein »Dienstleistungswürfel« stehen. Dieser Tage ist der 18.Standort »notariell beurkundet«, also verkauft worden. Die restlichen sollen noch in diesem Jahr folgen. Insgesamt werden dann rund anderthalb Milliarden Mark investiert und 12.000 neue Arbeitsplätze geschaffen sein. Kein Wunder, daß Finanzsenator Pieroth vom »größten Berliner Investitionsprojekt aller Zeiten« spricht.

Ende 1994 sollen die neuen Zentren mit Dienstleistung, Kleingewerbe und Handel fertiggestellt sein. Bislang aber spüren die Bürger in den wirtschaftlichen Problembezirken Marzahn, Lichtenberg und Hohenschönhausen noch keine Verbesserung ihrer Lebensqualität. Im Gegenteil: »Sie sind verwirrt, wenn jetzt Läden dichtmachen müssen, weil der Investor mit Baumaßnahmen beginnen will oder die befristeten Mietverträge auslaufen. Sie wissen nicht, daß der Investor auf jeden Fall für Ersatz sorgen muß, solange er baut oder renoviert«, berichtet Ines Saager, Wirtschaftsstadträtin in Marzahn. Sie bedauert den Mangel an Informationen den Bürgern gegenüber, ist aber selber in einer ähnlichen Lage: »Die Treuhand setzt uns über die erfolgten Vertragsabschlüsse nicht sofort in Kenntnis.«

Marzahn nimmt unter den drei — mit je rund zehn Dienstleistungszentren — am stärksten betroffenen Bezirken die Mittelstellung ein. Die Hälfte der Objekte steht zumindest unmittelbar vor dem Verkauf. In Hohenschönhausen dagegen liegen die meisten Verfahren »noch in der Schwebe«. Bei Gerhard Meuche vom dortigen Stadtplanungsamt hat sich schon »seit Monaten« kein Investor mehr gemeldet. »Wahrscheinlich«, so mutmaßt er, »scheuen die sich vor einem Kauf, weil sich die Lebensmittelkette »Kaisers« fast in jeder Kaufhalle eingemietet hat — zu sehr günstigen Konditionen.« Und Kaufrecht bricht nicht Mietrecht.

Bürgerverein scheut den Gang zum Kadi nicht

Dafür tut sich in Lichtenberg einiges. Hier laufen bereits die Architektenwettbewerbe für die Mehrzahl der Standorte, und in den Auswahlgremien sitzen auch Bürger. »Wir haben hier eine besonders aktive Gruppe, die hängen sich richtig rein.« Für Wolfram Schriedersdorff vom Planungsamt vielleicht eines Tages Grund, sich zu wundern. Denn »wir scheuen uns nicht, auch rechtliche Schritte einzuleiten«, sagt Arnim Kolodzig vom Bürgerverein »An der Hans-Loch-Straße«. Wichtigstes Ziel der engagierten Bürger im Moment ist, durchzusetzen, daß nur bereits versiegelte Flächen vom Investor neu bebaut werden dürfen.

Wo viele Betroffene sind, sind auch viele Interessen. Diese unter einen Hut zu bringen, war für die Treuhand — Eigentümerin der Kaufhallen, Gaststätten und Würfel — eine große Herausforderung. Die erste wichtige Entscheidung war, der Wild-Ost-Stimmung Einhalt zu gebieten und nicht einfach die einzelnen Objekte an den Meistbietenden zu verscherbeln. Statt dessen sollten auf Vorschlag der Bezirke die drei Gebäude und das Land, auf dem sie stehen, insgesamt mit einem angemessenen Konzept versehen und dann an einen Investor vergeben werden. Um die Bedürfnisse aller Beteiligten zu berücksichtigen, wurde ein »Berliner Modell« entwickelt: Eigentümer Treuhand, Landverkäufer Senat und die jeweiligen Bezirksvertreter sitzen zusammen an einem Tisch und verhandeln. Man wollte ein gutes Verhältnis zu den Bezirken herstellen. »Denn nur wenn ihn die Bezirke unterstützen, kann der Investor später richtig loslegen«, weiß Knut Herbst.

Fünf Jahre Mietfreiheit für die Jugendklubs

So konnten die Ostdeutschen noch vor der Ausschreibung der Projekte im Sommer 1991 eigene Vorstellungen präsentieren und auf deren Berücksichtigung drängen — je entschiedener und geschlossener die Bezirks-Mannschaft dabei auftrat, umso größer ihre Chancen. Ines Saager: »Wir haben für Marzahn durchgefochten, daß ein Investor nur einen Standort zugesprochen bekommen darf.« In den anderen Bezirken sind es zwei. Außerdem ist der Stadträtin zu verdanken, daß der Erhalt der Jugendclubs, die bislang im oberen Stock der Dienstleistungswürfel untergebracht sind, auf 20 Jahre gesichert wurde: Entweder die Investoren stellen die Clubs günstig zur Verfügung, d.h. die ersten fünf Jahre kostenlos, danach mit einer langsamen Annäherung an den Marktpreis, oder sie müssen 400 Quadratmeter große Ersatzflächen schaffen. Zudem wurde auf Drängen der Bezirke festgelegt, daß in den Klubgaststätten wenigstens zum Teil wieder die Gastronomie Einzug halten soll. Übergangsweise hatten sich dort Aldi, aber auch Einzelhandelsgeschäfte niedergelassen. »Manche mit, manche ohne Mietvertrag. Da sind ganz abenteuerliche Dinge gelaufen«, beschreibt Gerhard Meuche die Situation in Hohenschönhausen.

Auch wenn es an den ersten Ausschreibungen der Maklerfirma Engelfeld Kritik gegeben hatte, weil teils die Bedingungen der Bezirke einfach fehlten, ist aus den Bezirken grundsätzliches Lob am Berliner Modell zu hören: »Wir fühlen unsere Interessen wirklich vertreten«, heißt es übereinstimmend — was nicht vor Konflikten schützt. Besonders, wenn es um die Auswahl des Investors geht, müssen die Bezirke kämpfen. Ines Saager formuliert den Interessenkonflikt so: »Die Treuhand ist Verkäufer und geht nach dem Höchstpreis. Für uns ist entscheidend, ob der Investor unsere bezirklichen Nutzungsvorstellungen berücksichtigt.« Sonja Striegl