Der lockere Zeisig

Wiepersdorfer Konferenz über Leben und Werk des Lyrikers Erich Arendt  ■ Von Peter Walther

Ich hatte den Eindruck, daß er ein Mensch ist, der nicht gern arbeitet“, heißt es 1936 in einem Dossier des stalinistischen Geheimdienstes in Spanien über Erich Arendt. Ein Urteil, das dem 1984 verstorbenen Lyriker und Übersetzer ein Leben lang anhing — formuliert als Ressentiment (Peter Huchel: „Arendt — der lockere Zeisig“) oder als Selbstbekenntnis („Vagabund, der ich bin“).

Arendt war ein Außenseiter — als Flaneur im Kasernen-Sozialismus der DDR, wo er seit 1950 lebte — und zumal in seiner Lyrik, die sich jeder literarhistorischen Kategorisierung entzieht.

Aber nicht die posthume Stilisierung einer Biographie zum Boheme- Dasein, sondern das Bemühen um ein Werk, das vom Vergessen bedroht ist, war das Hauptanliegen eines Treffens von Literaturwissenschaftlern und Freunden des Dichters auf dem ehemaligen Anwesen der von Arnims, Schloß Wiepersdorf bei Jüterbog. Die Fahrt in die brandenburgische Provinz bescherte den Bildungstouristen aus Arizona, Amsterdam oder Aachen eine lebendige Anschauung jener Ödnis, die schon den jungen Erich Arendt aus dem heimatlichen Neuruppin nach Berlin fliehen ließ.

In einem biographischen Abriß zeichnet der Freund und Herausgeber Arendts, Gerhard Wolf, den Lebensweg des Dichters nach. In Neurupppin besucht Arendt ein Lehrerseminar, findet jedoch nach bestandenem Examen keine Anstellung. Zweier Arbeitsverhältnisse weiß er sich auf denkbar einfache Art zu entledigen: als Bankangestellter erscheint er in kurzen Hosen zur Arbeit, was seine fristlose Kündigung zur Folge hat; im gleichen Sinne erfolgreich ist Arendt als Kulissenmaler mit einer Beschwerde über schlechte Entlohnung. Der Umzug nach Berlin wird von ihm als Befreiung empfunden.

Arendt tritt in die KPD ein, um einer Freundin zu imponieren, und engagiert sich im Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller. Seine frühen Gedichte sind seit Mitte der 20er Jahre im Sturm“ von Herwarth Walden erschienen. Zehn Jahre nach der Blütezeit des deutschen Expressionismus bedient er sich ungebrochen der Mittel expressionistischer Poetik. Darüber kommmt es zum Streit mit Becher, der gerade — mit dem Eifer des Konvertiten — seiner expressionistischen Vergangenheit abschwört.

Noch vor der „Machtübernahme“ kommt Arendt mit den Nazis in Konflikt und emigriert 1933 — auf Umwegen über die Schweiz, Italien und Frankreich — nach Spanien. Dort, in Katalonien, beteiligt er sich schreibend am Bürgerkrieg, veröffentlicht Gedichte und tagespolitische Texte. Seine Lyrik ist vor allem Kasualdichtung von der Art „Über unseren Köpfen wehen die roten Fahnen/wie ergriffen vom Wind“ („Die Passionara spricht“). Gekämpft hat Arendt nicht (auch nie damit angegeben), doch trug er stets eine Handgranate bei sich, die ihn im Notfall davor bewahren sollte, lebendig in die Gewalt der Kriegsgegner zu geraten.

Nach der Niederlage der Republikaner wandert Arendt gemeinsam mit seiner Frau Katja nach Kolumbien aus. Dort halten sich die Arendts mit der Herstellung und dem Verkauf von Pralinen über Wasser. Sie kehren erst fünf Jahre nach Kriegsende nach Deutschland zurück. Hatte man ursprünglich geplant, sich in Westdeutschland niederzulassen, spielten jetzt wohl vor allem persönliche Kontakte in die DDR eine Rolle bei der Entscheidung, nach Ost-Berlin zu gehen.

Hier wird Arendt Mitarbeiter bei Huchels Sinn und Form, übersetzt, gemeinsam mit seiner Frau Katja, Lyrik von Neruda und Raffael Alberti und wird anfänglich sogar offiziell geehrt (1952, DDR-Nationalpreis). Doch nach und nach wird es ruhiger um den Dichter, seine Lyrik paßt nicht in die Kunstdoktrin des sozialistischen Realismus.

Trotz der offiziellen Mißachtung sind die folgenden Jahrzehnte für Arendt die künstlerisch produktivsten. Nacheinander erscheinen „Tol. Gedichte aus Kolumbien“ (1956), die „Flug Oden“ (1959), „Aegäis“ (1967), „Feuerhalm“ (1973), „Memento und Bild“ (1976), „Zeitsaum“ (1978) und „entgrenzen“ (1981). Der Lyriker Heinz Czechowski stellt eine Auswahl von Arendt-Gedichten für eine Taschenbuchausgabe bei Reclam-Leipzig zusammen; von dem Buch werden dreißigtausend Exemplare verkauft.

Adolf Endler, der auf der Wiepersdorfer Tagung aus seinen Tagebuch-Erinnerungen an Arendt gelesen hat, schrieb anläßlich der Neuauflage von „Tol“: „Erich Arendt ist das Gegenteil eines in die Nacht verliebten Romantikers. Sein Werk ist durchweg dem Licht und seiner Unerbittlichkeit verbündet, und die Nacht ist in seinen Gedichten nicht nur dem tröstlichen Traum, sondern vor allem auch dem Trug, nicht nur dem Geräusch und Geruch, sondern vor allem auch dem bewußtlosen Rausch zugeordnet, kurz, den Illusionen.“ Dabei bezieht der Lyriker ein Leben lang Anregung von der bildenden Kunst — ob in der frühen Phase seiner Sturm-Gedichte oder später in den insgesamt fünf Text- Bild-Bänden, die Arendt publiziert. Es sind stets die Landschaften des Südens, die ihn inspirieren, Kolumbien zunächst, das Land seines Exils, später Griechenland.

Politische Anspielungen auf die DDR-Gegenwart kommen in den Gedichten Arendts kaum vor oder werden vom Dichter bis zur Unkenntlichkeit verwischt: Adolf Endler erinnert sich an ein Gespräch mit dem Lyriker, in dem ihn Arendt auf eine absichtlich falsche Datierung des Gedichts „Hahnenschrei“ aufmerksam macht, dessen letzte Verse lauten: „Schon — erblinden die Straßenspiegel./ Einblickt/ das Spitzelgesicht.“ Datiert ist das Gedicht auf 1940. Arendt stolz zu Endler: „Nicht einmal der Czechowski hat das gemerkt.“

Nicht allein die Lyrik, sondern auch die Prosa des Geschäfts wurde in Wiepersdorf verhandelt: Zur Zeit ist keine Auswahl von Arendt-Gedichten auf dem Büchermarkt greifbar. Abhilfe wollen sowohl der Agora-Verlag von Manfred Schlösser als auch der Aachener Rimbaud-Verlag in Zusammenarbeit mit Gerhard Wolf schaffen. Da Arendt „93 Testamente“ (Endler) hinterlassen hat, gibt es zur Zeit noch juristische Probleme bei der Nachlaßfrage. Schlimmstenfalls blockieren sich die Verlage gegenseitig. Die Auseinandersetzung wurde zumindest in einem Ton geführt, der nicht optimistisch stimmt.

Anstatt sich gegenseitig auf teilweise rüde Art mit Vorwürfen zu belasten, wäre es wohl besser gewesen, den Genius loci zu verinnerlichen, der als heiter-gelassene Variante der Vanitas auf dem Deckengemälde des Konferenzsaals zu lesen war: „Einer macht's, der andre verlacht's, was macht's?“