Un-Gleichungen

■ betr.: "Kurdistan ist nicht Bosnien" von Ömer Erzeren, taz vom 4.9.92, "Bosnien-Uganda" von Hans Magnus Enzensberger, taz vom 5.9.92

betr.: „Kurdistan ist nicht Bosnien“ von Ömer Erzeren,

taz vom 4.9.92, „Bosnien — Uganda“ von Hans Magnus Enzensberger, taz vom 5.9.92

Als ich las, daß Ömer Erzeren uns in seiner Kolumne ein wenig kritisierte, weil wir von „ethnischen Säuberungen“ in Kurdistan gesprochen hatten, beschloß ich dazu nichts mehr zu sagen, weil der taz-Korrespondent vielleicht nicht zu Unrecht der Meinung gewesen sein könnte, daß wir ein wenig übertrieben hätten. Am nächsten Tag wurde mir dann bei der taz-Lektüre von Enzensbergers „Bosnien — Uganda“ schlagartig klar, daß von der Seite der Kochstraße uns im Gegenteil eher die Untertreibung vorgeworfen worden sein könnte.

Enzensberger, dem da keiner der taz-Kommentatoren widerspricht, geht ja davon aus, daß rundum die ganze Welt zunehmend einen einzigen Pool von „Stammeskriegen“ und ethnischen Säuberungen bildet, denen so zu begegnen sei, wie der Dichter das in einem fiktiven Gespräch auf einer Hotelterrasse in Kampala entwickelt: durch exzessive Gleichgültigkeit, die auf das Prinzip der absoluten physischen Ermattung setzt. Ordinärer gesagt: Sie sollen sich alle so lang die Köpfe blutig schlagen, bis sie nicht mehr können — man nehme einfach keine Notiz davon. Um diesen larmoyant-elitär vorgetragenen Umgang mit der Menschheit so wirkungsvoll wie möglich zu gestalten, schlägt der „Stückeschreiber“ vor, selbst die allergeringste Portion an humanitärer Hilfe konsequent zu unterlassen. Weil Enzensberger zu feige ist, dies selber auszusprechen, läßt er sich das von einem Ugander sagen, wobei er immerhin darauf achtet, daß dieser ihm ebenbürtig ist: von einem „Literaturprofessor“ in Kampala.

So geht das eben in der taz: einmal ist Bosnien überall und gilt selbst auf Uganda bezogen, mal soll das in Kurdistan (Türkei) so ganz und gar nicht gelten. Wir hatten die der türkischen Regierung vorgeworfenen „ethnischen Säuberungen“ in Anführungszeichen gesetzt, um eine Tendenz auszudrücken, eine durchaus nicht fiktive Gefahr, die von Erzeren selber im Rahmen seiner abschließenden Schlußfolgerungen mehrfach ausgesprochen wird.

Aber er denkt eben ein wenig zu „türkisch“ und meint wohl, 400 zerstörte kurdische Dörfer, millionenfache Vertreibung und Zwangsmigration, die soziodemographischen Folgen des GAP-Staudammprojektes und die Vernichtung und Vertreibung der BewohnerInnen einer ganzen Stadt (Sirnak) auf ein Minimum reduzieren zu müssen, das es doch nicht ist.

Den vorerst letzten Kommentar zur Kritik von Erzeren an uns überlassen wir ausnahmsweise dem türkischen Staatspräsidenten Özal (Hürriyet 7.9.92), der explizit mit baldiger „Massenvertreibung“ der Kurden droht und hinzufügt: „Wenn 500.000 Leute (Kurden) nach Westen gehen würden, wären hier einige Probleme gelöst.“

Davor hatten wir gewarnt: unserem Auftrag als Hilfs- und Menschenrechtsorganisation entsprechend. Zutreffender und auch menschlicher als der gemeingefährliche, galoppierende Schwachsinn Enzensbergers ist das wohl allemal. Ihm sollte allerdings unverzüglich widersprochen werden. Hans Branscheidt, medico international, Frankfurt am Main