Organspende: Zustimmung mit Widerspruch

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat Anfang September einen Entwurf zum Transplantationsgesetz vorgelegt/ Er sieht eine Erhöhung der Transplantationsfrequenz vor, aber „einen Anspruch auf ein inneres Organ eines anderen kann es nicht geben“  ■ Von Gisela Wuttke

In der vergangenen Woche haben die rechts- und gesundheitspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Norbert Geis und Paul Hoffacker, einen Vorschlag für ein Transplantationsgesetz unterbreitet. Wahrscheinlich hätte dieses für Bonner Verhältnisse ganz alltägliche Ereignis kaum Beachtung gefunden, gäbe es nicht bereits diverse andere Vorschläge, über die sich eine kleine Öffentlichkeit seit Jahresbeginn die Köpfe heißredet. Vordergründig schafft dieser weitere Beitrag zur Debatte um ein Transplantationsgesetz eher Verwirrung. Denn es geht darum, wer unter welchen Umständen über eine Entnahme von menschlichen Organen entscheiden darf.

Ungeachtet der eigentlich zentralen Frage, ob nämlich die Diagnose „Hirntod“ eine Entnahme von Organen überhaupt rechtfertigt — hier sind erhebliche medizinische, ethische und rechtliche Bedenken angebracht (vgl. taz vom 8. Mai 1992) —, setzen sämtliche Entwürfe den von zwei „unabhängigen“ ÄrztInnen diagnostizierten Hirntod voraus. Transplantiert werden also keine Leichenteile, sondern (künstlich) durchblutete Organe von jenen, deren Funktionstätigkeit des Gehirns „irreversibel“ zusammengebrochen ist. Die Definition „Hirntod“ erlaubt den ÄrztInnen, den Prozeß des Sterbens im Interesse eines Dritten, dem/ der potentiellen OrganempfängerIn, aufzuhalten und die noch „lebenden“ Organe zu entnehmen — vorausgesetzt, die Angehörigen geben ihre Einwilligung. Daran scheiden sich derzeit die gesetzlichen Geister. Mindestens drei Modelle, die als Zustimmungs-, Widerspruchs- und Informationslösung miteinander konkurrieren, bestimmen die Debatte.

Die Widerspruchslösung

Der vom „Interessenverband der DialysepatientInnen und Nierentransplantierten Deutschlands e.V.“ lancierte Entwurf eines Transplantationsgesetzes favorisiert die Widerspruchslösung: Die Organentnahme ist dann zulässig, wenn sich die Person zu Lebzeiten nicht ausdrücklich dagegen ausgesprochen hat. Dieser Entwurf vom September 1990 setzt also voraus, daß jeder Mensch potentieller Organspender ist, es sei denn, er legt dagegen Widerspruch ein. Schweigen gilt demnach als Zustimmung. Der Verband verspricht sich mit dieser Regelung eine „deutliche“ Erhöhung der Transplantationsfrequenz. Das ist allerdings reine Spekulation, die mit den Erfahrungen jener Länder, in denen die Widerspruchslösung gilt — zum Beispiel Belgien, Frankreich, Österreich — keineswegs belegt ist. Der Trend geht geradewegs in die andere Richtung. So ist Belgien dazu übergegangen, in jedem Fall die Angehörigen zu fragen, bevor die Organentnahme verfügt wird, da in der Praxis die Widerspruchslösung auch abschreckend gewirkt hat.

Die Informationslösung

Die „Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Transplantationszentren e.V.“ und die „Deutsche Stiftung Organtransplantation“ legten im Mai 1991 einen Gesetzentwurf vor, die sogenannte Informationslösung. Dieser der Transplantationsmedizin auf den Leib geschneiderte Entwurf bestimmt seitdem wesentlich die Debatte. Kernstück ist eine Kombination von Einwilligungsmöglichkeiten, die eine Verweigerung der Organspende schon theoretisch kaum mehr in Betracht zieht. Eine Entnahme von Organen soll immer dann möglich sein, wenn die Person zu Lebzeiten „schriftlich oder in anderer Form“ eingewilligt hat.

Außerdem ist vorgesehen, bei fehlender Zustimmung die Angehörigen über die Absicht (!) der Organentnahme zu informieren, gegen die sie dann Widerspruch einlegen können. Tun sie es nicht, darf explantiert werden, auch wenn eine ausdrückliche Zustimmung weder von der Person noch ihren Angehörigen vorliegt. Sind die Angehörigen „innerhalb einer angemessenen Frist“ nicht erreichbar, ohne daß dieser Zeitraum näher definiert wird, darf sich der Arzt durch den „am Ort des Todes zuständigen Richter oder Staatsanwalt die Entnahme genehmigen“ lassen.

Mit anderen Worten: Wer zu Lebzeiten keine Einwilligung zur Organentnahme gibt und seine Angehörigen darauf einschwört, diese im Zweifelsfall zu verweigern, kann sich nach diesem Gesetz keineswegs geschützt fühlen. Jeder beliebige Richter oder Staatsanwalt kann die Organentnahme veranlassen, wenn es ein Arzt verlangt. Trotzdem hatte diese Konstruktion ihre politischen FürsprecherInnen. So legte die niedersächsische SPD-Fraktion im Januar 1992 einen Entwurf vor, der bis aufs I-Tüpfelchen identisch sein sollte mit dem der Arbeitsgemeinschaft der Transplantationszentren (vgl. taz vom 19. Juni 1992). Die Sozialdemokraten gaben einen Entwurf als den ihren aus, der den Vorschlägen einer Arbeitsgruppe um den führenden Repräsentanten der Transplantationsmedizin, Rudolf Pichlmayr von der Medizinischen Hochschule Hannover, folgte. Die ganze Peinlichkeit offenbart sich da, wo die SPD „ihren“ Entwurf als Widerspruchslösung ankündigt, obwohl er die Informationslösung befürwortet.

Seit 1979 wird um das Transplantationsgesetz gerungen. Damals scheiterte der Justizminister der sozial-liberalen Koalition, Jochen Vogel, mit seinem Versuch, die Organspende durch eine Widerspruchslösung zu regeln. Auch der daraufhin vom Bundesrat vorgelegte Entwurf einer Zustimmungslösung setzte sich nicht durch. Danach sollte eine Organentnahme nur dann gestattet sein, wenn die Person zu Lebzeiten darin eingewilligt hatte oder die Angehörigen in ihrem Sinne zustimmten.

Diese Regelung findet sich nun auch in dem Vorschlag der rechts- und gesundheitspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, für den sie jedoch noch die Stimmen ihrer Fraktion brauchen. Zwar sprechen sich Geis und Hoffacker für mehr Transplantationen aus, doch soll es „einen Anspruch auf ein inneres Organ eines anderen... nicht geben“ (Pressedienst der Fraktion Nr.3835/1. September 1992).

Damit ist der Zielkonflikt der Transplantationsmedizin benannt: Für das Leben des einen muß ein anderer sterben.

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