"Ökologisches Denken"

■ Die bolivianische Ethnomedizinerin Teresa Torres ist zu Gast in Hamburg / Am Sonntag spricht sie im Museum für Völkerkunde

INTERVIEW

»Ökologisches Denken« Die bolivianische Ethnomedizinerin

Teresa Torres ist zu Gast in Hamburg/Am Sonntag spricht sie im Museum für Völkerkunde

Der Hochmut, mit dem zu runden Zahlen der Columbus-Fahrt Europa seine Entdeckungen feierte, ist 1992 weitgehend selbst schon Teil der Geschichte des Kolonialismus. Titel wie der der Hamburger Veranstaltungsreihe „500 Jahre Begegnung zweier Welten“ umschreiben die historische Sachlage schon besser. Doch unter dem drängenden Schatten neokolonialer Wirtschaftsstrukturen wird die Bedeutung des indianischen Kulturbeitrags noch immer unterschätzt.

Ein deutliches Beispiel für die überhebliche europäische Blindheit gibt der Brief eines Priesters aus der Zeit der Conquista: „Möge mir Gott vergeben, daß ich überhaupt so etwas zu schreiben wage, aber die armen Indianer hier glauben, das Blut zirkuliert in den Adern!“

Mit solchen drastischen Beispielen beleuchtet eine in beiden Welten beheimatete Wissenschaftlerin ihr Thema: die zehntausend Jahre alte Kosmologie und Ökologie der andinen Indianer. Dr. Teresa Torres aus La Paz in Bolivien ist als Gast der Kulturbehörde in Hamburg und wird neben ihren Besuchen bei Ethnologen und Medizinern am Sonntag einen Vortrag im Völkerkundemuseum halten.

Teresa Torres ist Gründerin und Leiterin des Ressorts für Ethnomedizin am Gesundheitsministerium in La Paz, Mitarbeiterin des Nationalen Archäologischen Instituts und des Staatlichen Umwelt-Instituts und Mitglied von Tarpuymita, einer engagierten, nichtstaatlichen Gruppe ethno-ökologischer Fachleute. Im Bolivianischen Konsulat befragte Hajo Schiff sie zu ihrer Arbeit.

In der Einladung des Völkerkundemuseums klingt es so, als wäre die Welt durch indianische Tradition zu retten. Was ist dabei Ihre Botschaft?

Der zentrale Punkt ist, daß es in der Weltsicht der andinen Indianer nicht auf die Optimierung eines Teilsystems ankommt, sondern auf eine universale Balance. Stark vereinfacht gesagt, gibt es zwei gegensätzliche Kräfte, ähnlich, aber keineswegs gleich dem Guten und Bösen. Diese Kräfte sind immer komplementär und immer reziprok. Sie bilden eine dynamische Balance, die

1sich nur langfristig und im Einklang mit der kosmischen Ordnung verändern kann. Ein solches Denken ist natürlich in hohem Maße ökologisch.

Worauf stützt sich solches Wissen?

Im Gebiet von Kallawaya gibt es noch heute Schamanen, die über Wissen verfügen, daß bis weit vor die Inkazeit zurückreicht. Dazu gewinnen wir immer genauere Kenntnisse durch die Archäologie und teilweise durch alte Quellenschriften. Für die Erforschung der in den spanischen Texten enthaltenen Quellen wäre es ein dringender Wunsch, daß der Vatikan endlich alle seine geheimen Dokumente der Wissenschaft zugänglich macht. Ich bin, schon als Ärztin, keineswegs gegen die westliche Wissenschaft, nur ist diese zu lange so überheblich gewesen, sich für die einzige überhaupt zu halten. Es gibt immer mehrere Antworten und jeder muß die ihm spezifische finden.

Können Sie Beispiele geben?

In fünfhundert Jahren europäisch entwickelter Landwirtschaft sind

1bei uns um die dreihunderttausend Quadratkilometer Land erodiert. Das höher gelegene, weitaus schwieriger zu nutzende Land, auf dem nach jahrtausende altem System angebaut wird, ist noch heute in tadellosem Zustand.

Oder nehmen sie die respektlos so genannten Wunderheiler. Heute ist auch der westlichen Medizin klar, das ein überwältigender Prozentsatz der Krankheiten psychisch ist. Dazu setzen neue Erkenntnisse über die energetischen Ströme in der Zelle bis zu den Sternen alte kosmologische Systeme in frisches Licht. Die Ganzheitlichkeit der indianischen Vorstellungswelt ist sicherlich ein Vorbild für viele Probleme der heutigen Zeit.

Was ist der Kernsatz, der Ihnen am wichtigsten ist?

Wir müssen nicht die Ökonomie, sondern die Menschen entwickeln und wir sollten sehen, daß wir alle zusammen eine ausgewogene Balance erreichen.

Vortrag mit Lichtbildern (in Englischer Sprache, Sonntag, 11 Uhr